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Restwertdifferenz geht nicht zu Lasten des Geschädigten

Das AG Hamburg-Harburg kommt in seinem Urteil vom 29.06.2016 – Az: 647 C 70/16 – zu dem Ergebnis, dass bei Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwandes der im Schadensgutachten festgestellt Wert maßgeblich ist. Im vorliegenden Fall hatte der Gutachter drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt ermittelt und der Bezifferung des Restwerts das höchste Angebot zugrunde gelegt. Zu eben diesem Betrag veräußerte der Kläger den Unfallwagen auch. Er durfte auf den ermittelten Wert vertrauen. Der Kläger war nicht verpflichtet, im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht vor Veräußerung des Unfallwagens bei dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung nachzufragen, ob dort ein besseres Restwertangebot vorliegt, zumal er den vom Gutachter ausgewiesenen Restwert bei Veräußerung auch tatsächlich erzielte.

Keine Verpflichtung des Geschädigten, höheres Restwertangebot abzuwarten.

Nach dem Urteil des Amtsgericht Hamburg-Wandsbek vom 02.12.2014 – Az: 716 bC 151/14 – ist der Geschädigte unmittelbar nach Erhalt des Sachverständigengutachtens berechtigt, das Fahrzeug zu dem dort ausgewiesenen Restpreis zu veräußern. Eine vorherige Abstimmung mit der Haftpflichtversicherung des Schädigers ist nicht erforderlich. Der Sachverständige ermittelte den Restwert im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, denn er hatte im regionalen Markt drei Angebote eingeholt. Hätte der Geschädigte bis zu einer Überprüfung durch die gegnerische Haftpflichtversicherung warten müssen, würde die ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen. Die Aufforderung der gegnerischen Haftpflichtversicherung, der Geschädigte solle die Veräußerung des verunfallten Pkw zurückstellen, bis sie den Restwert überprüft habe, ging ins Leere.
Den Geschädigten trifft auch kein Mitverschulden i. S. d. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB, da er das höhere Restwertangebot erst erhielt, nachdem er den Kaufvertrag bereits abgeschlossen hatte. Es kann offenbleiben, wann der Kaufpreis bezahlt und das Fahrzeug übergeben und übereignet wurde, da allein auf das Verpflichtungsgeschäft und nicht auf das Erfüllungsgeschäft abzustellen ist.

Volltext: AG Hamburg-Wandsbek.pdf

Veräußerung zum Restwert laut Gutachten/Warten auf Restwertangebot des Versicherers/Dauer des Nutzungsausfallschadens

Das Landgericht Kaiserslautern (Urteil vom 15.10.2013 – 2 O 783/12) und das Amtsgericht Kaiserslautern (Urteil vom 27.06.2014 – 12 C 1759/13) halten in ihren Urteilen fest, dass der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen dann genüge tut und sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Satz 2 BGB gezogenen Grenzen bewegt, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwerts verkauft oder in Zahlung gibt. Der Schädiger kann den Geschädigten grundsätzlich nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, den dieser auf einem besonderen Markt durch spezialisierte Restwertkäufer hätte erzielen können. Der Geschädigte ist auch nicht verpflichtet, ein Restwertangebot des Schädigers abzuwarten oder die gegnerische Haftpflichtversicherung vor dem Verkauf über seine Verkaufsabsicht zu informieren, da er gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB „Herr der Schadensabwicklung“ ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Geschädigten vor dem Verkauf konkrete annahmefähige Angebote von Händlern vorliegen, die mit zumutbarem Aufwand realisiert werden können.
Das LG Kaiserslautern hat in seinem Urteil auch entschieden, dass Nutzungsausfallschaden für die erforderliche Ausfallzeit, d. h. für die Dauer der notwendigen Reparatur bzw. Wiederbeschaffung zzgl. der Zeit für die Schadensfeststellung und einer eventuellen Überlegungszeit, besteht. Der Geschädigte darf nicht nur abwarten, bis das Gutachten vorliegt, sogenannter Schadensermittlungszeitraum, sondern darüber hinaus ist ihm unter Umständen auch eine angemessene Frist für weitere Dispositionen – bspw. die Einholung von Rechtsrat und die Abwägung Reparatur oder Ersatzbeschaffung – einzuräumen, sogenannter Überlegungszeitraum. Im vorliegenden Fall hat das LG Kaiserslautern einen Überlegungszeitraum von 14 Tagen (17.12.-30.12.) für angemessen erachtet, da es sich um einen Grenzfall zwischen Reparatur oder Totalschadenberechnung handelt und der Zeitraum in die Weihnachtsfeiertage fällt.
Nähere Einzelheiten können dem ausführlich begründeten Urteil des LG Kaiserslautern entnommen werden.

LG-Kaiserslautern.pdf

AG-Kaiserslautern.pdf

Quotelung bei Vorfahrtsverstoß bei Einfahrt in den stockenden Verkehr/Restwertangebote aus dem Internet sind nicht rechtsverbindlich

Das Amtsgericht Kassel hat durch Urteil vom 03.07.2014 entschieden, dass dann, wenn es zu einer Kollision kommt zwischen einem Fahrzeug, dessen Fahrer die Vorfahrt zu beachten hat, und einem Fahrzeug, dessen Fahrer bei stockendem Verkehr die Einmündung nicht freigehalten hat, eine hälftige Haftung angemessen erscheint. Derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hat, darf nur dann auf einen etwaigen Vorfahrtsverzicht vertrauen, wenn eine entsprechende Verständigung (§ 11 Abs. 3 StVO) vorliegt. Der Fahrer auf der vorfahrtsberechtigten Straße muss in Ansehung des stockenden Verkehrs die Einmündung freihalten (§ 11 Abs. 1 StVO). Diese Regelung schützt zwar vorrangig den geradeausfahrenden Verkehr oder den nach links abbiegenden Verkehr der kreuzenden Straße. Ob auch der nach rechts abbiegende Verkehr vom Schutzbereich der Norm erfasst ist, kann dahingestellt bleiben, denn jedenfalls liegt ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtsnahmegebot des § 1 StVO vor.

Ein Restwertangebot genügt den Anforderungen an ein bindendes Restwertangebot dann nicht, wenn es sich erkennbar um ein Angebot über ein Internetportal handelt. Eine Bindungswirkung hat ein Restwertangebot nur dann, wenn der Geschädigte sich auf keinerlei Verhandlungen mehr einlassen muss, ihm also hinreichend klar erkennbar ist, dass er lediglich noch eine angegebene Telefonnummer oder eine sonstige Kontaktmöglichkeit wählen muss, um die Sache unmittelbar perfekt machen zu können.

AG Kassel, Urt. v. 03.07.2014, 411 C 4791/13