Inanspruchnahme der Verweiswerkstatt, die 23 km vom Wohnort des Geschädigten liegt, ist unzumutbar

Das AG Hamburg-St. Georg hat in seinem Urteil vom 03.03.2017 – Az.: 910 C 233/16 – entschieden, dass die Inanspruchnahme einer Verweiswerkstatt dem Geschädigten mit Blick auf ihre Entfernung von ca. 23 km zu seinem Wohnort unzumutbar ist, zumal diese nicht über einen kostenlosen Hol- und Bringservice verfügt. UPE-Aufschläge und Verbringungskosten sind auch bei fiktiver Abrechnung ersatzfähig. Werden solche Kosten in die Kalkulation aufgenommen und in dem Gutachten ausgewiesen, handelt es sich lediglich um unselbstständige Rechnungspositionen im Rahmen der Reparaturkostenermittlung, deren Beurteilung durch den Sachverständigen nicht anders zu behandeln ist als seine hinsichtlich der Arbeitszeit oder des benötigten Materials erfolgte Einschätzung.

Kein Verweis auf kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer anderen freien Werkstatt bei fiktiver Abrechnung

Das AG Dorsten kommt in seinem Urteil vom 19.09.2017 – Az.: 3 C 94/17 – zu dem Ergebnis, dass der Geschädigte, der der Reparaturkalkulation bei fiktiver Abrechnung durchschnittliche Stundenverrechnungssätze einer freien Werkstatt zugrunde legt, sich nicht von der Versicherung auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer anderen freien Werkstatt verweisen lassen muss. Der Geschädigte hat nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Er muss sich nicht auf die günstigsten erzielbaren Preise verweisen lassen, da bereits durchschnittliche Stundenverrechnungssätze einer freien Fachwerkstatt kalkuliert wurden. Ein Verweis auf eine kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer anderen freien Werkstatt würde die Dispositionsfreiheit des Geschädigten in unzulässiger Weise einschränken.

Höhe des Wiederbeschaffungswertes/Berechnung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren aufgrund des vom Sachverständigen festgestellten höheren Wiederbeschaffungswertes

Das AG Viersen hat durch Urteil vom 07.09.2017 – Az.: 32 C 326/15 – entschieden, dass der von einem Sachverständigen mit klaren, nachvollziehbaren Ausführungen ermittelte Wiederbeschaffungswert und nicht der durch die Versicherung ermittelte niedrigere Wiederbeschaffungswert bei der Schadenregulierung zugrunde gelegt werden muss. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der vorhandenen Sonderausstattung und der durchgeführten Garantiearbeiten einen Wiederbeschaffungswert ermittelt. Er hat zunächst den Händlerverkaufswert nach dem DAT-Verfahren, auf den sich die Beklagte beruft, sowie den Wiederbeschaffungswert nach dem Schwacke-Verfahren ermittelt und anschließend überprüft, ob die ermittelten Werte den tatsächlichen Marktverhältnisse entsprechen. Dies war im vorliegenden Fall gegeben. Der Sachverständige hat die vorgelegten Unterlagen zu Garantiearbeiten ausgewertet und in seinem Gutachten insbesondere auch dargelegt, welche Arbeiten aus seiner Sicht als werterhöhend zu berücksichtigen sind. Für die Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ist von dem erhöhten Wiederbeschaffungswert und nicht bloß vom Wiederbeschaffungsaufwand auszugehen. Bei einem Verkehrsunfall umfasst der Gegenstandswert auch die Möglichkeit, das beschädigte Auto an den Schädiger abzugeben und dafür die Zahlung des Wiederbeschaffungswerts vom Schädiger zu verlangen. Damit bezieht sich die anwaltliche Tätigkeit auch auf die Prüfung, ob der Wiederbeschaffungswert gegen Herausgabe des beschädigten Wagens rechtlich möglich und zweckmäßig ist. Ob der Geschädigte sich nach erfolgter Beratung dafür entscheidet, gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherung den Wiederbeschaffungswert tatsächlich geltend zu machen, ist für die Bemessung des Gegenstandswerts unerheblich. Denn maßgeblich für die Ermittlung des Gegenstandswertes ist der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts. Eine andere Beurteilung würde zu einer Benachteiligung des Geschädigten führen, der aufgrund der Beratung seine Meinung geändert und statt des Wiederbeschaffungswertes und der Herausgabe des Wagens nunmehr den Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes begehrt. Er würde auf seinen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sitzen bleiben, wenn die ersatzfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf Basis des tatsächlich geltend gemachten Wiederbeschaffungsaufwands berechnet würden.

Legal-Tech-Portal darf nicht mit „Kostenlos Bußgeld los“ werben

Das LG Hamburg hat durch Urteil vom 10.10.2017 – 312 O 477/16 – entschieden, dass Legal-Tech-Portale auf ihrer Internetseite nicht irreführend damit werben dürfen, kostenlos gegen Bußgeldbescheide im Verkehrsrecht vorzugehen, wenn die Kosten tatsächlich nur bei überwiegender Erfolgsaussicht übernommen werden. Das LG Hamburg gab damit einer Klage des Deutschen Anwaltvereins vollumfänglich statt. Die Werbeaussagen des Legal-Tech-Portals sind irreführend i. S. d. § 5 UWG. Da die Aussage „Kostenlos Bußgeld los“ uneingeschränkt getroffen wird, besteht die Gefahr, dass jedenfalls relevante Anteile des angesprochenen Verkehrs diesen farblich hervorgehobenen Teil der Einleitung der Internetseite so verstehen, dass in jedem Fall das Bußgeld ohne Kosten abgewehrt werden kann. Tatsächlich werden aber die Kosten nur übernommen, wenn die Beklagte dem jeweiligen Verfahrensschritt überwiegende Aussicht auf Erfolg beimisst oder ihn für wirtschaftlich sinnvoll hält. Dies ergibt sich aus ihren AGB. Dort wird u. a. darauf hingewiesen, dass eine eventuell vorhandene Rechtsschutzversicherung vorrangig in Anspruch zu nehmen ist oder dass keine Kostenfreistellungszusage mehr erteilt wird, wenn die Beklagte die Erfolgsaussichten als negativ beurteilt und weitere Verfahrensschritte ablehnt. Die Aussagen „Unsere Anwälte setzen die Einstellung Ihres Bußgeldverfahrens durch. Ihr Bußgeldbescheid wird damit unwirksam. Sie zahlen kein Bußgeld.“ sind ebenfalls irreführend. Es besteht die Gefahr, dass relevante Anteile des Verkehrs die Angaben fälschlich so verstehen, dass in jedem Fall eine Einstellung des Verfahrens durchgesetzt werden wird. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass den angesprochenen Verkehrskreisen insgesamt klar ist, dass Bußgeldbescheide auch berechtigt sein können und ein Vorgehen gegen diese daher erfolglos sein kann, so dass gar keine Verkehrserwartung eines Erfolges in jedem Fall besteht. Die Beklagte suggeriert mit den beanstandeten Angaben auf ihrer Internetseite, dass sie jedes Bußgeldverfahren zur Einstellung bringen kann. Es ist davon auszugehen, dass jedenfalls relevante Anteile des Verkehrs dies glauben mögen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Überschreiten der 130 %-Grenze: Ersatz des objektiven Werts der Instandsetzungsarbeiten

Das AG Bad Schwalbach kommt in seinem Urteil vom 10.08.2017 – Az.: 3 C 224/16 (70) – zu dem Ergebnis, dass auch dann, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 130 % übersteigen, der Geschädigte den objektiven Wert der Instandsetzungsarbeiten, begrenzt bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes, verlangen kann. Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Geschädigte Anspruch auf Zahlung von Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Dies gilt auch für den Fall, wenn die kalkulierten Reparaturkosten mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes übersteigen. Insoweit folgt das AG Bad Schwalbach der Auffassung des Klägers, dass kein Grund ersichtlich ist, warum es dem Geschädigten verwehrt sein soll, tatsächlich angefallene Kosten einer Teilreparatur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu beanspruchen, jedenfalls dann nicht, wenn durch die Reparatur das Fahrzeug wieder in einen verkehrssicheren Zustand gebracht wird. Denn für den Schädiger entsteht dadurch kein Nachteil, da der Anspruch des Geschädigten durch den Wiederbeschaffungswert begrenzt ist. Bei der fiktiven Abrechnung des objektiven Werts der durchgeführten Instandsetzungsarbeiten kann der Kläger lediglich den Betrag ohne Mehrwertsteuer verlangen. Das AG Bad Schwalbach billigt dem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall eine Prüfungs- und Überlegungsfrist von 3 Tagen ab Zugang des schriftlichen Sachverständigengutachtens zu, innerhalb derer er erklären kann, ob das Fahrzeug noch reparabel ist oder auf Totalschadenbasis abzurechnen ist. Diese Überprüfungsfrist beginnt mit dem Eingang des schriftlichen Gutachtens zu laufen.

Abweichung der Reparaturrechnung von der Kalkulation des Schadengutachtes in Höhe von etwa 5 % ist nicht exorbitant

Das AG Norderstedt kommt in seinem Urteil vom 26.07.2017 – Az.: 47 C 47/17 – zu dem Ergebnis, dass es sich dann, wenn der Rechnungsbetrag um etwa 5 % über dem durch ein Parteigutachten erwarteten Betrag lag, nicht um eine exorbitante Abweichung handelt, die der Geschädigte hätte erkennen müssen. Der Rechnungsbetrag wich im vorliegenden Fall auch nur um etwas mehr als 8 % von dem Betrag, den die Beklagte als angemessen erachtet hat, ab. Unerheblich ist, ob der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits beglichen hat oder nicht.

Änderung des Passivrubrums/Ersatz der Verbringungskosten

Das AG Coburg kommt in seinem Urteil vom 17.07.2017 – Az.: 15 C 466/17 – zu dem Ergebnis, dass auch die Verbringungskosten zu ersetzen sind. Nach Klageeinreichung war die Passivlegitimation der HUK-Coburg bestritten worden, da die HUK-Coburg im Auftrag und in Vertretung der HUK24 AG die außergerichtliche Regulierung vorgenommen hatte, so dass die HUK24 AG die richtige Beklagte war. Das AG Coburg hat nach Hinweis auf die Entscheidung des BGH Az.: VII ZR 128/12 das Passivrubrum geändert.

Mehrere Angelegenheiten bei Vertretung mehrerer Geschädigter eines Unfalls

Das AG Brilon hat durch Urteil vom 24.07.2017 – Az.: 2 C 18/17 – entschieden, dass es sich dann um verschiedene Angelegenheiten mit mehreren Auftraggebern gemäß § 7 RVG handelt, wenn der Rechtsanwalt neben dem geschädigten Eigentümer eines Pkw´s auch die verletzte Fahrerin vertritt. Es handelt sich nicht um ein Tätigwerden in derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt berechtigt ist, beide Angelegenheiten isoliert abzurechnen. Ein Tätigwerden in derselben Angelegenheit liegt nur dann vor, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Auftrag, ein Tätigkeitsrahmen sowie ein innerer Zusammenhang. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Prozessbevollmächtigte mit zwei verschiedenen Vollmachten beauftragt wurde. Zudem bezogen sich die geltend gemachten Ansprüche auf unterschiedliche Schadenspositionen. Während es bei der Ehefrau des Klägers um Personenschäden und die Geltendmachung eines Schmerzensgeldes ging, machte der Prozessbevollmächtigte für den Kläger Schadensersatzansprüche aufgrund eines Sachschadens an dessen Pkw geltend. Der Prozessbevollmächtigte führte unterschiedliche Akten für den Kläger und dessen Ehefrau. Er führte die Korrespondenz getrennt für den jeweiligen Ehepartner unter der Angabe eines unterschiedlichen Aktenzeichens.

Verbringungskosten sind in voller Höhe erstattungsfähig

Das Amtsgericht Coburg hat durch Urteil vom 29.06.2017 – Az.: 12 C 560/17 – entschieden, dass die Verbringungskosten in voller Höhe erstattungsfähig sind. Hierbei handelt es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zu Lasten des Schädigers. Der Geschädigte darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigte Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie im vorliegenden Fall – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren. Im vorliegenden Fall fand eine Verbringung des Fahrzeuges statt und die Werkstatt hat die Kosten dem Kläger in Rechnung gestellt. Der Kläger hat das Fahrzeug reparieren lassen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendungen sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier gleichartige Aufwendungen sich bereits aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergeben.

Ersatzfähigkeit fiktiver Verbringungskosten/Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten beim Einwand der Unbrauchbarkeit des Schadengutachtens für die Schadensregulierung

Das Amtsgericht Schwerte hat durch Urteil vom 24.05.2017 – Az.: 7 C 117/16 – entschieden, dass die Verbringungskosten auch bei fiktiver Abrechnung ersatzfähig sind, soweit sie in einem Gutachten eines anerkannten Sachverständigen Berücksichtigung gefunden haben und nach den örtlichen Gepflogenheiten auch bei einer Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt angefallen wären. Auch die vom Kläger geltend gemachten Sachverständigenkosten sind als unfallbedingt erforderlicher Schaden zu ersetzen. Die Verweigerungshaltung der Beklagten mit dem Argument, dass das klägerische Sachverständigengutachten zur Schadensregulierung unbrauchbar sei, da es Reparaturschritte enthalte, die zur Schadensbeseitigung nicht erforderlich seien, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagte greift lediglich drei einzelne Kalkulationsposten des Gutachtens an, sodass schon nicht ersichtlich ist, dass das klägerische Gutachten zur Schadensregulierung insgesamt oder zur schlüssigen Schadensdarlegung im Prozess unbrauchbar ist. Selbst wenn das vorgelegte Gutachten zur Schadensregulierung unbrauchbar wäre, hat die Beklagte keine Umstände dargelegt, die eine Ersatzpflicht des Schädigers entfallen lassen würden.