Zurücktreten der Betriebsgefahr bei plötzlichem Öffnen der Fahrertür eines parkenden Pkw

Das LG Bielefeld hat durch Urteil vom 09.11.2015 – Az.: 8 O 284/14 – entschieden, dass beim plötzlichen Öffnen der Fahrertür eines parkenden Pkw unter Verstoß gegen § 14 StVO die einfache Betriebsgefahr regelmäßig zurücktritt. Es ist von einem schweren Verschulden auszugehen, weil das Fließen des Verkehrs nur dann gewährleistet ist, wenn sich die mit angemessener Geschwindigkeit und regelgerechtem Abstand Vorbeifahrenden darauf verlassen können, dass nicht unerwartet eine Fahrzeugtür in den Fahrbereich hineingeöffnet wird. Ein Verstoß des Kfz-Führers gegen § 6 StVO, indem er den erforderlichen Seitenabstand unterschritten hat, war im vorliegenden Fall nicht gegeben. An rechtsparkenden, ersichtlich leeren Fahrzeugen darf auch mit weniger als 1 m seitlichem Abstand vorbeigefahren werden. Kann das haltende Fahrzeug besetzt sein, so ist etwaiges Türöffnen zu berücksichtigen, so dass nach herrschender Meinung ein Abstand von weniger als 50 cm jedenfalls in der Regel zu knapp ist. Der seitliche Abstand der Fahrzeuge hat im vorliegenden Fall zum Kollisionszeitpunkt ca. 80 cm betragen. Dies wird vom LG Bielefeld als ausreichend angesehen.

Bemessung der Mietwagenkosten anhand des arithmetischen Mittels aus dem Mietpreis der Schwacke-Liste und des Fraunhofer Marktpreisspiegels

Das Amtsgericht Olpe vertritt in seinem Urteil vom 20.08.2015 – 25 C 639/14 – die Auffassung, dass die Bemessung der Mietwagenkosten anhand des arithmetischen Mittels aus dem Mietpreis der Schwacke-Liste und des Fraunhofer Marktpreisspiegels für Mietwagen am ehesten geeignet ist, die den beiden Listen innewohnenden Mängel auszugleichen und so zu einem verlässlichen, den tatsächlichen Gegebenheiten vergleichbaren Ergebnis zu kommen. Es verweist hierbei auf eine Entscheidung des OLG Köln und des LG Siegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des LG Siegen kann der Geschädigte grundsätzlich Erstattung der tatsächlich angefallenen Kosten beanspruchen, auch wenn der abgerechnete Tarif über dem Durchschnitt liegt, solange die Abweichung vom Normaltarif weniger als 50% beträgt. Der Geschädigte muss bei geringeren Preisabweichungen nicht zwangsläufig erkennen, dass der ihm angebotene Mietwagentarif einen unverhältnismäßigen Kostenaufwand auslöst.

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Vorfahrtsverstoß: Keine Mithaftung bei Parken im eingeschränkten Haltverbot in Kreuzungsnähe

Das Landgericht Hamburg hat durch Urteil vom 24.09.2015 – Az.: 302 O 104/15 – entschieden, dass der Kläger den Anscheinsbeweis, dass er einen Vorfahrtsverstoß begangen hat, nicht erschüttern konnte. Insbesondere ist die Behauptung einer Sichteinschränkung oder überhöhter Geschwindigkeit des Unfallgegners zur Erschütterung nicht geeignet, denn der wartepflichtige Kläger muss mit Verkehrsverstößen anderer Verkehrsteilnehmer rechnen. Der Verkehrsverstoß der bei der Beklagten versicherten Fahrzeuge, die zum Unfallzeitpunkt im eingeschränkten Haltverbot parkten, bleibt deshalb unberücksichtigt, weil der Kläger sich nicht im Schutzbereich des eingeschränkten Haltverbots befand, denn es dient nicht der Ermöglichung einer freien Sicht nach links. Ein eingeschränktes Haltverbot erlaubt grundloses Halten für bis zu drei Minuten und ein darüber hinausgehendes Halten zu Zwecken des Ein- und Aussteigens sowie des Be- und Entladens. Hieraus wird deutlich, dass die Verkehrsregelung Sichteinschränkungen grundsätzlich in Kauf nimmt. Das eingeschränkte Haltverbot dient im vorliegenden Fall allein der Förderung der Leichtigkeit des Verkehrs.

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Beweislast für unzureichende Auslastung bei Eigenreparatur zu Selbstkosten

Das Amtsgericht Altötting hat durch Urteil vom 22.05.2015 – Az.: 1 C 558/14 – entschieden, dass einem geschädigten Autohaus die Eigenreparatur zu Selbstkosten (also ohne Unternehmergewinnaufschlag) nur dann zuzumuten ist, wenn dies in der fraglichen Zeit nicht in der Lage war, die Instandsetzungskapazität seines Betriebes anderweitig gewinnbringend einzusetzen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Reparatur zu betriebsschwachen Zeiten erfolgt ist, in denen ohnehin keine gewinnbringenden Fremdaufträge ausgeführt worden wären. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast und den Umfang der Substantiierungsobliegenheit ist das Gericht der Auffassung, dass zunächst die Eigeninstandsetzung zum Selbstkostenpreis bei Autohäusern nicht als Regelfall anzusehen ist, sondern vom Geschädigten nur im Ausnahmefall verlangt werden kann. Deshalb trägt der Schädiger die Beweislast dafür, dass der Geschädigten für Reparaturarbeiten konkret zur Verfügung stehendes Personal zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht ausgelastet war, im Betrieb insoweit also „Leerlauf“ herrschte. Da es sich hierbei um eine in der Sphäre der Geschädigten liegende Beweisfrage handelt, in die der Schädiger keinen Einblick hat, obliegt es der Geschädigten, im Rahmen der sekundären Darlegungslast, ihre damalige betriebliche Auslastungssituation hinreichend konkret darzulegen. Hierbei dürfen an die Geschädigte keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, sie hat jedoch im Rahmen des Zumutbaren hinreichende Angaben zu der betrieblichen Situation im Zeitpunkt der Reparatur zu machen, um einschätzen zu können, inwieweit das für Reparaturarbeiten zur Verfügung stehende Personal seinerzeit ausgelastet war. Erfüllt die Geschädigte diese Darlegungslast, obläge es der Beweislast des Schädigers dazu vorzutragen und ggf. Beweis anzubieten, dass bei der angegebenen Beschäftigungsauslastung noch freie Kapazitäten vorhanden waren.

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Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht möglich: Geschädigter hat Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall, Standgebühren und Mietwagenkosten/1,5 Gebühr

Das Amtsgericht Freising kommt in seinem Urteil vom 21.08.2015 – Az.: 5 C 261/15 – zu dem Ergebnis, dass dem Geschädigten dann Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall, Standgebühr und Mietwagenkosten zusteht, wenn er zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht in der Lage ist. Grundsätzlich ist ein Geschädigter nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen. Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Im vorliegenden Fall hat der Kläger frühzeitig die Versicherung dahingehend informiert, dass er zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht in der Lage ist. Er hat auch einen Kontoauszug für die fragliche Zeit vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass sein Konto bereits überzogen war. Eine 1,5 Gebühr war angemessen, da sich die Regulierung als schwierig und umfangreich darstellte. Zu berücksichtigen ist dabei, dass zunächst der richtige Versicherer herausgefunden werden musste und die Beklagte als einstandspflichtige Versicherung sich nicht von sich aus bei dem Geschädigten gemeldet hat. Besondere Schwierigkeiten bereitete dabei, dass das Kennzeichen des unfallauslösenden Anhängers zunächst nicht bekannt war. Damit kann nicht von einem Regelfall der Schadenregulierung ausgegangen werden.

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Quotenvorrecht/Mietwagenkosten/Rechtsanwaltskosten

Das Landgericht Lüneburg hat durch Urteil vom 07.04.2015 – 9 S 104/14 – entschieden, dass bei einer Kollision mit einem eine Kolonne überholenden Fahrzeug und einem links in eine Einmündung abbiegenden Fahrzeug der Verstoß des Überholenden (Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO: Überholen in unklarer Verkehrslage) den Verstoß des Abbiegenden (Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht) überwiegt, so dass eine Quote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Überholenden gerechtfertigt ist. Das LG Lüneburg folgt der herrschenden Meinung, wonach sich das Quotenvorrecht nur auf den unmittelbaren Sachschaden, nicht jedoch auf die Sachfolgeschäden bezieht. Demnach zählen neben den Reparaturkosten auch die für die Begutachtung der Fahrzeugschäden aufgewandten Sachverständigenkosten zu den unmittelbaren Sachschäden, so dass auch diese am Quotenvorrecht teilnehmen. Gleiches gilt für die Abschleppkosten. Mietwagenkosten, die sich innerhalb dessen, was nach der Schwacke-Liste zulässig ist, bewegen, sind nicht zu beanstanden. Auch der Ausgleich der Rechtsanwaltskosten, die erforderlich waren, um den Anspruch in der tatsächlich bestehenden Höhe vorgerichtlich geltend zu machen, wird geschuldet. Denn die Schadensersatzforderung war – berechtigterweise – außergerichtlich geltend gemacht worden, bevor die Geschädigte die Kaskoversicherung in Anspruch genommen und die Versicherungsleistung erhalten hatte.

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Anscheinsbeweis zu Lasten des Wendenden, Haftungsverteilung 100:0

Das LG Hamburg führt in seinem Urteil vom 31.07.2015 – Az.: 331 O 258/14 – aus, dass dann, wenn sich ein Verkehrsunfall im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem Wendemanöver und Ausfahrmanöver ereignet hat, nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins feststeht, dass der Wendende gegen § 9 Abs. 5 und § 10 StVO verstoßen hat. Er hat sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer – hier des fließenden Verkehrs – ausgeschlossen war. Im vorliegenden Fall ist es nicht gelungen, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Es ist nicht gelungen, Umstände darzulegen, wonach es ernsthaft möglich erscheint, dass sich in dem Verkehrsunfall trotz des durchgeführten Wende- bzw. Einfahrmanövers die diesem Fahrmanöver typischerweise innewohnende erhöhte Verkehrsgefährdung gerade nicht verwirklicht hat. Das LG Hamburg hat auf dieser Grundlage eine Haftungsverteilung im Verhältnis 100:0 zu Lasten des Wendenden für angemessen erachtet.

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Haftungsverteilung bei Schaden durch liegengebliebene Reifenteile/Sichtfahrgebot

Das AG Arnstadt vertritt in seinem Urteil vom 17.06.2015 – Az.: 22 C 276/14 – die Auffassung, dass eine Reifenkarkasse, die sich während der Fahrt vom Fahrzeug löst und zum Hindernis für den nachfolgenden Verkehr wird, eine typische von einem Kfz ausgehende Gefahr darstellt. Der Unfall war im vorliegenden Fall kein unabwendbares Ereignis, so dass gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge vorzunehmen war. Das AG Arnstadt geht aufgrund von Zeugenaussagen davon aus, dass das Reifenteil bei den vorherrschenden Sichtverhältnissen relativ schwer erkennbar war. Mit einem solchen schwer zu erkennenden Hindernis muss ein Kfz-Fahrer nicht rechnen. Grundsätzlich darf ein Kraftfahrer bei Dunkelheit auch auf Autobahnen nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke halten kann. Das Sichtfahrgebot gilt aber auch auf Autobahnen nicht für solche Hindernisse, die erst außergewöhnlich spät sichtbar werden. Der BGH hat für ein auf der Autobahn liegendes Reserverad einen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot abgelehnt. Da eine Reifenkarkasse nur der Teil eines Rades und deshalb noch schwerer zu erkennen ist, ist dem Fahrer auch hier kein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot vorzuwerfen.

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Anscheinsbeweis bei einer Kollision während eines Fahrstreifenwechsels/Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage bei Erinnerungslücken zum Randgeschehen

Das LG Hamburg hat durch Urteil vom 16. Juni 2015 – Az.: 323 U 44/15 – entschieden, dass bei einer Kollision während eines Fahrstreifenwechsels bereits der erste Anschein dafür spricht, dass der Wechselnde den Unfall dadurch verursacht hat, dass er die gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO einzuhaltende äußerste Sorgfalt nicht gewahrt hat. Angaben zum Unfallablauf eines Zeugen sind auch dann glaubhaft, wenn dieser viele Details, z.B. die Tageszeit und den Straßennahmen, nicht mehr erinnert, jedoch zu dem Kerngeschehen des Unfalls eine konkrete Erinnerung hat. Es ist plausibel, dass sich der Zeuge selbst nach längerer Zeit an die Ursache des von ihm unmittelbar vor sich beobachteten Verkehrsunfalls – der Wechsel eines Fahrzeugs auf den auch von dem Zeugen befahrenen Fahrstreifen – deutlich besser erinnert, als an weitere Umstände, die ihm in diesem Zusammenhang verständlicherweise ohne Bedeutung erschienen.

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Kosten des Sachverständigen des Geschädigten für die Teilnahme an der von der Versicherung des Schädigers gewünschten Gegenüberstellung sind erstattungsfähig

Das LG Hamburg kommt in seinem Urteil vom 02.07.2015 – Az.: 323 S 13/15 – zu dem Ergebnis, dass Gutachterkosten für den Ortstermin dann zu erstatten sind, wenn es aus Sicht eines vernünftigen Geschädigten sinnvoll ist, den von ihm mit der Schadensermittlung betrauten Sachverständigen hinzuzuziehen. Gerade wenn der eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer eine Gegenüberstellung der Unfallfahrzeuge begehrt, weil er z.B. vermutet, dass das bei ihm haftpflichtversicherte Fahrzeug nicht an dem Unfall beteiligt gewesen sei, ist der Geschädigte berechtigt, seinen Schadensgutachter zu der Gegenüberstellung hinzuzuziehen. Der Sachverständige des Geschädigten konnte von einem von der Versicherung beauftragten Sachverständigen nicht zwingend eine unabhängige Expertise erwarten. Aus seiner Sicht stand zu befürchten, dass durch den Versicherungsgutachter später nichtrekonstruierbare Feststellungen einseitig getroffen würden. Wenn der Geschädigte sich, obwohl er dazu nicht verpflichtet war, bereiterklärt, mit seinem Fahrzeug an der Gegenüberstellung teilzunehmen, war er auch berechtigt, sich der Unterstützung seines eigenen Sachverständigen zu bedienen. Auch die Höhe des Sachverständigenhonorars ist nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, warum der Sachverständige verpflichtet wäre, unterschiedliche Stundensätze für Gutachtertätigkeit und Fahrtzeiten anzusetzen.

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