Parallelvollstreckung von zwei Fahrverboten ohne Schonfrist

Das Amtsgericht Vechta kommt in seinem Beschluss vom 14.09.2017 – Az.: 93 OWi 515/17 – zu dem Ergebnis, dass dann, wenn zwei Fahrverbote ohne Schonfrist im Sinne des § 25 Abs. 2 a StVG ergehen, eine Parallelvollstreckung beider Fahrverboten möglich ist. Grundsätzlich gilt, dass die Vollstreckung mehrerer Fahrverbote, d. h. die Berechnung ihrer jeweiligen Dauer, angesichts der Regelung des § 25 Abs. 2 getrennt nebeneinander erfolgt, jeweils ab Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung. Etwas anderes gilt nach § 25 Abs. 2 a Satz 2 StVG nur für den Fall, dass ein oder beide Fahrverbote mit Schonfrist angeordnet waren. Nur für den Fall, dass ein Hinausschieben der Wirksamkeit eines oder beider Fahrverbote überhaupt möglich ist, ist die additive Vollstreckung gesetzlich vorgesehen. Dies gilt auch, wenn der Betroffene durch seine geschickte zeitgleiche Einspruchsrücknahme beide Fahrverbote parallel rechtskräftig werden lässt.

Standardisiertes Messverfahren (ESO 3.0): Welche Unterlagen müssen übermittelt werden?

Das LG Trier hat in seinem Beschluss vom 14. September 2017 – Az.: 1 Qs 46/17 – entschieden, dass der Verteidigerin die digitalen Falldatensätze inklusive unverschlüsselter Rohmessdaten der gesamten Messserie, die Statistikdatei zur Messserie, die Wartungs- und Instandsetzungsnachweise des Messgeräts seit der letzten Eichung sowie die Eichnachweise seit der ersten Inbetriebnahme auf einem von ihr bereitgestellten Speichermedium zur Verfügung zu stellen sind. Auch der bereits auf CD vorliegende „Public Key“ des Messgeräts ist der Verteidigerin im Wege der Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen. Nach Auffassung des LG Trier ist den Betroffenen zur Vermeidung eines später nicht mehr zu beseitigenden rechtswidrigen Zustands die Überprüfung im Wege des Beschwerdeverfahrens zu ermöglichen. Die Beschwerde ist auch begründet, da der Grundsatz der Verfahrensfairness und das hieraus folgende Gebot der Waffengleichheit erfordern, dass sowohl die Verfolgungsbehörde wie auch die Verteidigung in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen kann. An der dadurch garantierten „Parität des Wissens“ fehlt es jedoch, wenn die Bußgeldbehörde, nicht aber der Betroffene, Zugang zu den für die Beurteilung des Messwerts relevanten Unterlagen hat. Zutreffend ist, dass die Verwaltungsbehörde nicht verpflichtet ist, eine sog. Lebensakte für das hier zum Einsatz gekommene Messgerät zu führen. Die Verwaltungsbehörde hat jedoch Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät aufzubewahren. Werden dem Betroffenen solche Unterlagen nicht zugänglich gemacht, hat er keine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden.

Datenschutzrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Zwar sind bei Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe auch die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer betroffen. Dieser Eingriff ist jedoch hinzunehmen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist insoweit höherrangig, zumal es sich um einen relativ geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter handelt. Ein Anspruch auf Übermittlung des aktuellen Eichscheins sowie der früheren Eichscheine seit der ersten Inbetriebnahme besteht deswegen, weil sich aus der Häufigkeit der Eichung, insbesondere vor Ablauf der Eichfrist, möglicherweise Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit des Messgeräts ergeben können. Auch der sog. Public Key des Messgeräts muss zur Verfügung gestellt werden, denn durch einen Vergleich des von dem Messgerät genutzten Public Key mit dem in der Messdatei abgespeicherten Public Key lässt sich überprüfen, ob die Messdatei tatsächlich von dem Messgerät hergestellt und nicht manipuliert wurde. Auch die Statistikdatei zur Messserie ist der Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Nur wenn alle Messdateien der kompletten Messserie zur Auswertung vorliegen, kann die Messbeständigkeit des Messgeräts bzw. der Messanlage und damit die Gültigkeit der Eichung nachgewiesen werden.

Abweichungen oberhalb der Verkehrsfehlergrenze bei Messung mit dem Lasergerät PoliScan Speed PS

Das AG Mannheim kommt in seinem Beschluss vom 29.11.2016 – Aktenzeichen: 21 OWi 509 JS 35740/15 – aufgrund einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass es bei Durchführung der Messung mit dem Lasergerät PoliScan Speed PS Abweichungen oberhalb der Verkehrsfehlergrenze geben kann, ohne dass dies auf die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Messwertbildung Einfluss nehmen müsste. Sowohl der Betroffene als auch der Richter sehen sich bei einem standardisierten Verfahren einer Situation gegenüber, die eine Beweisführung faktisch unmöglich macht. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe ist eine nähere Überprüfung nur geboten, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung gegeben sind. Um derartige Umstände zu finden, braucht es aber der Sachkunde, über die weder das Gericht noch in der Regel der Betroffene und sein Verteidiger verfügen. Das bedeutet im Ergebnis, die Bauartzulassung der PTB ersetzt die gerichtliche Prüfung in einer dem Prozessrecht unterliegenden Beweisaufnahme. Dies verschärft sich noch, folgt man dem OLG Frankfurt darin, dass der einzelne Betroffene aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Anspruch auf die Beiziehung der kompletten Messreihe hat. Denn es gibt Fehlerquellen, die sich erst bei der Auswertung dieser zeigen, wie die Abweichungen hinsichtlich der Verkehrsfehlergrenze. Eine weitere mögliche Fehlerquelle erfordert ebenfalls die Beurteilung mehrerer Messungen über die Einzelmessung hinaus. Das AG Mannheim kommt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass das Messgerät in wesentlichen Teilen nicht der Bauartzulassung, nämlich der Messwertermittlung, entspricht. Oder umgekehrt, das Gerät misst anders als in der Bauartzulassung beschrieben. Daraus folgert es, dass bei jeder einzelnen Messung zu prüfen ist, ob die zur konkreten Messwertbildung beitragenden Rohdaten die Bedingungen der Bauartzulassung einhalten oder nicht.

Verhältnis der gesetzlichen Fiktion einer Zustellungsvollmacht (§ 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG) zu der rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht/Heilung einer fehlerhaften Zustellung kann nicht mit Hinweis auf eine papierlose Bearbeitung von Bußgeldsachen vereitelt werden

Das Kammergericht Berlin vertritt in seinem Beschluss vom 17. Juni 2016 – Geschäftsnummer: 3 Ws (B) 217/16 – 162 Ss 55/16 – die Auffassung, dass der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegensteht, dass sich zum Zeitpunkt der Zustellung nur eine sog. Blankovollmacht, die u.a. den bevollmächtigten Rechtsanwalt nicht erkennen lässt, bei den Akten befand. § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG enthält eine Sonderregelung für die Zustellung der Verwaltungsbehörde und bestimmt den gewählten Verteidiger kraft Gesetzes zum ermächtigten Zustellungsbevollmächtigen des Betroffenen und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene ihm eine solche Zustellungsvollmacht rechtsgeschäftlich erteilt hat. Diese gesetzliche Fiktion stellt eine ordnungsgemäße Zustellung von Entscheidungen unabhängig und damit in der Wirkung auch gegen den Willen des Betroffenen sicher, weil der Verteidiger in diesem Fall nicht der Beistand des Betroffenen, sondern dessen gesetzlich bestimmter Vertreter ist. Eine wirksame Zustellung an den Wahlverteidiger ist auch aufgrund einer diesem vor der Zustellung erteilten rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht möglich und zulässig. Ob eine solche rechtsgeschäftliche Vollmacht vorlag, deren Nachweis nachgereicht werden kann und die nicht an eine besondere Form gebunden ist, ist im Einzelfall aus der Gesamtheit der erkennbaren Umstände sowie dem Auftreten des Rechtsanwalts im Verfahren zu schließen. Dabei kommt es nur darauf an, ob die Vollmacht tatsächlich zum Zeitpunkt der Zustellung bestand, d.h., ob sie vom Vollmachtgeber tatsächlich erteilt worden ist.
Im vorliegenden Fall ergab sich aus den aus den Akten ersichtlichen Gesamtumständen, dass der Betroffene dem Rechtsanwalt eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt hatte. Der Anwalt hatte seinem Schriftsatz eine schriftliche Vollmacht, die am Ende handschriftlich einen Schriftzug als Unterschrift des Vollmachtgebers enthielt, beigefügt.
Er hat sich mit Schriftsatz ausdrücklich bei der Verwaltungsbehörde als Verteidiger des Betroffenen unter Hinweis auf seine Beauftragung durch den Betroffenen in dieser Sache gemeldet, unter Verweis auf das Schweigerecht seines Mandanten die Einstellung des Verfahrens beantragt, um Akteneinsicht ersucht und diese erhalten, Einspruch eingelegt, vielfach um Verlegung bereits festgesetzter Hauptverhandlungstermine beim Gericht nachgesucht, an den Hauptverhandlungsterminen als Verteidiger teilgenommen und ist zusätzlich für den auf seinen Antrag vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen als dessen Vertreter aufgetreten.
Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass die mit dem Schriftsatz übersandte Vollmacht, die ausdrücklich auch die Zustellung an den Beauftragten umfasst, weder die konkrete Angelegenheit noch den Namen des Betroffenen in Druckbuchstaben und den des Bevollmächtigten ausdrücklich benennt.
Der Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides an den Rechtsanwalt steht auch nicht die fehlerhafte Ersatzzustellung nach § 180 ZPO entgegen, denn der Verteidiger war zustellungsbevollmächtigt und der Bußgeldbescheid war an ihn adressiert. Zwar war die Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Kanzlei gehörenden Briefkasten unwirksam, weil nicht festzustellen ist, dass die Zustellung an Mitarbeiter der Kanzlei an einem Werktag nicht ausführbar war (§ 180 ZPO), jedoch ist dieser Mangel nach § 189 ZPO geheilt worden. Dass der Bußgeldbescheid dem bevollmächtigten Rechtsanwalt tatsächlich zugegangen ist, ist unzweifelhaft, weil er noch am Tag der Zustellung ausweislich der Faxleiste für den Betroffenen bei der zuständigen Stelle Einspruch eingelegt hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Bußgeldakten in der Kanzlei papierlos geführt werden. Denn für den tatsächlichen Zugang reicht es aus, dass sich der Bußgeldbescheid in der Kanzlei befindet und der Rechtsanwalt jederzeit Zugriff auf das – hier wohl – eingescannnte Dokument hat; der Nachweis, dass er es körperlich vorgelegt bekommen hat, ist nicht erforderlich. Andernfalls hätte der Verteidiger durch eine solche Kanzleiorganisation die Möglichkeit, den Zugang der Urkunden zu vereiteln.

Bußgeldverfahren muss bei erheblichem Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingestellt werden

Das Amtsgericht Landstuhl hat durch Beschluss vom 26.10.2015 – Az.: 2 OWi 4286 Js 7129/15 – entschieden, dass ein Bußgeldverfahren dann einzustellen ist, wenn ein erheblicher Verfahrensverstoß der Bußgeldbehörde gegen datenschutzrechtliche Vorschriften vorliegt, der zwar den staatlichen Strafanspruch im konkreten Fall nicht an sich beseitigt, jedoch so erheblich im Sinne vorsätzlichen Vorgehens ist, dass vorliegend eine Sanktionierung mittels der Rechts- und Regelfolgen der BKatV nicht vereinbar wäre. Im vorliegenden Fall war das Fahrzeug der Halterin von einer männlichen Person geführt worden, was auf dem Messbild unweigerlich zu entnehmen war. Anstelle nunmehr z.B. die Adresse der Halterin anzufahren und sich nach männlichen Fahrern zu erkundigen bzw. zunächst einmal lediglich die Anschrift der im Anwesen der Halterin lebenden männlichen Verwandten beim Einwohnermeldeamt zu erfragen, hat die Zentrale Bußgeldbehörde sofort Lichtbilder bei der Passbehörde angefordert. Der Landesdatenschutzbeauftragte hat das Verhalten der Zentralen Bußgeldstelle, sich ohne vorhergehende und ergebnislos gebliebene Ermittlungen die Passbilder der potentiellen Betroffenen zu verschaffen, mehrfach gerügt. Von einer Beanstandung nach dem Landesdatenschutzgesetz sah der Landesdatenschutzbeauftragte nur ab, weil die Zentrale Bußgeldstelle zugesichert hatte, die Mitarbeiter intern noch einmal auf die Rechtslage und die einzuhaltenden Vorgaben hinzuweisen. Im vorliegenden Fall kann dem begangenen Verstoß nicht mit den Mitteln eines Beweisverwertungsverbots begegnet werden. Für das Handeln der Behörde ist die Einstellung nach § 47 OWiG schon dann anerkannt ist, wenn Richtlinien nicht beachtet werden, somit muss erst recht die Einstellung des Verfahrens erfolgen, wenn wie hier ein Gesetzesverstoß vorliegt.

Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht möglich: Geschädigter hat Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall, Standgebühren und Mietwagenkosten/1,5 Gebühr

Das Amtsgericht Freising kommt in seinem Urteil vom 21.08.2015 – Az.: 5 C 261/15 – zu dem Ergebnis, dass dem Geschädigten dann Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall, Standgebühr und Mietwagenkosten zusteht, wenn er zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht in der Lage ist. Grundsätzlich ist ein Geschädigter nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen. Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Im vorliegenden Fall hat der Kläger frühzeitig die Versicherung dahingehend informiert, dass er zur Vorfinanzierung der Reparaturkosten nicht in der Lage ist. Er hat auch einen Kontoauszug für die fragliche Zeit vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass sein Konto bereits überzogen war. Eine 1,5 Gebühr war angemessen, da sich die Regulierung als schwierig und umfangreich darstellte. Zu berücksichtigen ist dabei, dass zunächst der richtige Versicherer herausgefunden werden musste und die Beklagte als einstandspflichtige Versicherung sich nicht von sich aus bei dem Geschädigten gemeldet hat. Besondere Schwierigkeiten bereitete dabei, dass das Kennzeichen des unfallauslösenden Anhängers zunächst nicht bekannt war. Damit kann nicht von einem Regelfall der Schadenregulierung ausgegangen werden.

Volltext: AG Freising.pdf

Unterbrechung der Verfolgungsverjährung auch bei Zweifeln der Verwaltungsbehörde an der Identität des Betroffenen oder seiner Fahrereigenschaft

Das Saarländische Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 14. September 2015 – Az.: SsRS 17/2015 – die Zulassung der Rechtsbeschwerde deswegen als unbegründet verworfen, weil sie nicht zur Klärung und richtungweisenden Beurteilung der Frage der Verfolgungsverjährung geboten war. Nach Ansicht des Gerichts sind die entscheidungserheblichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG durch Anordnung der Anhörung des Betroffenen in Form der Veranlassung der Übersendung eines Anhörungsbogens geklärt. Der Umstand, dass der der Versendung des Anhörungsbogens an einen Betroffenen zugrundeliegende Verdacht, dieser habe die Ordnungswidrigkeit begangen, von der Verwaltungsbehörde selbst angezweifelt und durch weitere Ermittlungen überprüft wurde und sich später bestätigt hat, ändert nichts daran, dass die in der Veranlassung der Übersendung des Anhörungsbogens liegende Unterbrechungshandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG sich gegen eine bestimmte Person, nämlich den damals schon bekannten Betroffenen richtete. Dass die Zentrale Bußgeldbehörde die Übersendung eines weiteren Anhörungsbogens an diesen veranlasste, stellt die Wirksamkeit der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung gegenüber dem Betroffenen nicht in Frage.

Volltext: OLG Saarland.pdf

Bauartbedingte Fehlerquellen bei der Ein-Seiten-Sensor-Geschwindigkeitsmessanlage Typ ES 3.0

Das Amtsgericht Meißen kommt in seinem Urteil vom 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 – zu der Einschätzung, dass die innerstaatliche Bauartzulassung, auf deren Grundlage die Eichungen aller eingesetzten Geschwindigkeitsmessanlagen Typ ES 3.0 beruhen und die Einhaltung der Bedienvorschriften es nicht gewährleisten, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Messergebnisse zu erwarten sind. Die Beweisaufnahme hat bauartbedingte Fehlerquellen der Geschwindigkeitsmessanlage bei der Messwertbildung zu Tage treten lassen, die nicht innerhalb der zulässigen Verkehrsfehlergrenze liegen und auch nicht durch einen größeren Toleranzwert ausgeglichen werden können. Mit den vom Hersteller zur Verfügung gestellten Auswertemöglichkeiten können der Anwender und das Gericht nicht feststellen, dass der Geschwindigkeitswert, der im Messfoto angezeigt wird und Grundlage des Vorwurfs einer Ordnungswidrigkeit ist, von einem bestimmten Fahrzeug stammt oder überhaupt von einem Fahrzeug stammt. Seit der Softwareversion 1.007 ist diese Feststellung auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht mehr möglich. Die gegenwärtig vom Gerätehersteller zur Verfügung gestellte Online-Auswertungsmöglichkeit der Messdaten gewährleistet keine unbeeinflusste Überzeugungsbildung des Gerichts, da die Datenauthentizität und –integrität nicht gesichert ist. Für das gerichtliche Verfahren muss unabhängigen Sachverständigen der eigenständige Zugriff auf die Originalmessdaten möglich sein: andernfalls ist eine Überzeugungsbildung nicht möglich. Nähere Einzelheiten bitte ich der umfangreichen Entscheidung zu entnehmen.

Volltext: AG Meißen.pdf

Akteneinsichtsrecht in vollständigen Datensatz bei Geschwindigkeitsmessung

Das OLG Oldenburg vertritt in seinem Beschluss vom 06.05.2015 – Az.: 2 Ss (OWi) 65/15 – die Auffassung, dass das rechtliche Gehör des Betroffenen dann verletzt ist, wenn ihm die Messdatei, obwohl er dies vorprozessual mehrfach beantragt hat, nicht zugänglich gemacht wird. Da diese Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist die Messdatei – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen. Es ist nicht ausreichend, dass das Messprotokoll, der Eichschein und die Messfotos, also diejenigen Unterlagen, die bei einem standardisierten Messverfahren grundsätzlich zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes genügen, vorlagen.

Volltext: OLG Oldenburg.pdf

Rohmessdaten müssen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden

Nach dem Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 27.02.2014 – Az.: 381 OWi – 9673/Js 32833/14 – sind Rohmessdaten, die mit dem Gerät ES 3.0 im Rahmen einer Messreihe angefallen sind, in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen. Diese Auffassung hatte bereits das LG Halle in seiner Entscheidung vom 05.12.2013 (5 O 110/13), veröffentlicht in der zfs 2014, S. 114/115, sowie das OLG Naumburg in seiner Entscheidung vom 27.08.2014 (6 U 3/14), vertreten. Es steht einer Privatfirma nicht zu, die Speicherung der Rohdaten und deren Verschlüsselung vorzunehmen und damit einzige Verfügungsbefugte der Rohdaten zu sein und sich hierdurch die Nutzung der Daten exklusiv vorzubehalten, sodass Dritte, insbesondere Sachverständige, in vorgerichtlichen oder gerichtlichen Verfahren auf die Daten nicht direkt zugreifen können. Damit wird eine Überprüfung der Daten durch die Verteidigung verhindert. Die Herausgabe der Daten hat direkt an den Verteidiger oder ein von ihm benanntes Sachverständigenbüro zu erfolgen. Das Amtsgericht Kassel weist auch darauf hin, dass mit der freiwilligen Herausgabe eine richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung vermieden werden kann.

Volltext: AG Kassel.pdf