Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren

TATBESTAND:BUßGELDPUNKTEFAHRVERBOT
Abbiegen ohne ordnungsgemäßes Einordnen 10
... mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer 30
... mit Sachbeschädigung 35
Abbiegen ohne Entgegenkommende durchzulassen 20
...mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer 701
...mit Sachbeschädigung 851
Beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden oder Rückwärtsfahren einen anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet 801
Einfahren in eine Kreuzung oder Einmündung trotz stockenden Verkehrs mit Behinderung 20
Abbiegen, ohne Rücksicht auf Fußgänger zu nehmen mit Gefährdung 701
Beim Linksabbiegen nicht voreinander abgebogen mit Gefährdung 701

Ratgeber: Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren

Das sagt die StVO: § 9 StVO – Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren

(1) Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen. Wer nach rechts abbiegen will, hat sein Fahrzeug möglichst weit rechts, wer nach links abbiegen will, bis zur Mitte, auf Fahrbahnen für eine Richtung möglichst weit links, einzuordnen, und zwar rechtzeitig. Wer nach links abbiegen will, darf sich auf längs verlegten Schienen nur einordnen, wenn kein Schienenfahrzeug behindert wird. Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; vor dem Abbiegen ist es dann nicht nötig, wenn eine Gefährdung nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.

(2) Wer mit dem Fahrrad nach links abbiegen will, braucht sich nicht einzuordnen, wenn die Fahrbahn hinter der Kreuzung oder Einmündung vom rechten Fahrbahnrand aus überquert werden soll. Beim Überqueren ist der Fahrzeugverkehr aus beiden Richtungen zu beachten. Wer über eine Radverkehrsführung abbiegt, muss dieser im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich folgen.

(3) Wer abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Fahrräder auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Dies gilt auch gegenüber Linienomnibussen und sonstigen Fahrzeugen, die gekennzeichnete Sonderfahrstreifen benutzen. Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen; wenn nötig, ist zu warten.

(4) Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen. Einander entgegenkommende Fahrzeuge, die jeweils nach links abbiegen wollen, müssen voreinander abbiegen, es sei denn, die Verkehrslage oder die Gestaltung der Kreuzung erfordern, erst dann abzubiegen, wenn die Fahrzeuge aneinander vorbeigefahren sind.

(5) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.

Sinn und Zweck

Die Norm des § 9 richtet sich mit ihren verschiedenen Verhaltensregeln und -pflichten ausschließlich an den Fahrverkehr. Damit sind die Fahrzeugführer angesprochen, die ihre Fahrzeuge durch den Verkehrsraum bewegen. Der im Rahmen der Gesamtsystematik der StVO speziell von dieser Norm zu regelnde Bereich umfasst die unterschiedlichen Fahrvorgänge der Richtungsänderungen des Längsverkehrs.

Eine besonders durch § 9 geschützte Gruppe von Verkehrsteilnehmern ist die Gruppe der Radfahrer. Ihnen werden durch Abs. 2 bei ihren Abbiegevorgängen besondere Schutzräume zugewiesen und besondere Handlungspflichten, die allein ihrem Schutz dienen sollen, auferlegt. Eine weitere Schutzpflicht für den Schutz von u. a. auch Radfahrern folgt aus Abs. 3, der zusätzlich auch den Fußgängern einen weiteren Schutz bietet. Im Rahmen des Systems Straßenverkehr sind die verschiedenen von § 9 geregelten Fahrweisen als alltägliche Richtungsänderungen von Fahrzeugen anzusehen, die sich durch räumlich begrenzte Abweichungen von der sonst im Straßenverkehr allgemein üblichen Geradeausfahrt auszeichnen. Die Geradeausfahrt ist als der »stabile Normalzustand« des Fahrverkehrs anzusehen und wird quasi durchbrochen von der für den Abbiegevorgang, das Wenden und das Rückwärtsfahren (= Regelungsbereich des § 9) erforderlichen Änderung der stabilen Fahrtrichtung. Diese »Durchbrechung der Normalfahrt« erfordert jeweils den Schutz derjenigen Personen, die sich innerhalb der vom abbiegenden, wendenden und rückwärts fahrenden Fahrzeugführer benötigten Handlungszone (= Schutzzone) im Verkehrsraum befinden. Damit sind aber durch den § 9 nicht nur Personen geschützt, die im Längs- oder Querverkehr dem auf der Grundlage der in § 9 aufgestellten Verpflichtungen handelnden Fahrzeugführer begegnen (a. A. OLG Düsseldorf VRS 84, 468 ff.). Der räumliche Schutzbereich des § 9 umfasst entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf vielmehr auch alle anderen Personen, die sich auf Verkehrsflächen befinden, die von abbiegenden, wendenden und rückwärts fahrenden Fahrzeugführern genutzt werden. Dadurch entfaltet § 9 seine Schutzwirkungen über den dem Straßenverkehr gewidmeten rechtlich-öffentlichen Verkehrsraum hinaus auch in den tatsächlich-öffentlichen Verkehrsraum hinein.

Die Beachtung der speziellen Sorgfaltspflichten des § 9 erfordert von den betreffenden Fahrzeugführern eine umfassende Aufmerksamkeit

Im konkreten Fall des OLG Düsseldorf führte die systemwidrige Beurteilung zum Freispruch eines Autofahrers, der beim Abbiegen in ein Grundstück ein spielendes Kind übersah, überrollte und dadurch tödlich verletzte, von der angeklagten Straftat einer fahrlässigen Tötung (VRS 84, 468 ff.). Wäre der Schutzbereich durch das Gericht auf die in dem räumlichen Bereich des Abbiegevorganges befindlichen Personen ausgedehnt worden, hätte der Autofahrer gem. § 222 StGB verurteilt werden müssen.

Arten des Abbiegens

Beim Abbiegen müssen mehrere Arten voneinander unterschieden werden, die nicht nur einen unterschiedlichen Verkehrsablauf beschreiben, sondern auch, bedingt durch verschiedene Konfliktrisiken zwischen den Verkehrsteilnehmern, unterschiedlich hohe abstrakte Gefahren in sich bergen. Es können die drei Arten Abbiegen nach links, Abbiegen nach rechts und doppeltes Abbiegen sowie verschiedene Unterarten voneinander unterschieden werden:

Bei dem Abbiegen nach links wird speziell für Fahrradfahrer zwischen dem direkten und dem indirekten Linksabbiegen unterschieden. Dabei ist das für den Kraftfahrzeugverkehr praktizierte direkte Linksabbiegen auch für Radfahrer auf Straßen ohne Radwege oder bei nur geringem und leicht überschaubarem Autoverkehr anzutreffen und für die im Straßenverkehr erfahrenen Radfahrer gut praktizierbar. Für direktes Linksabbiegen muss zwischen dem Radfahrer und dem nachfolgenden Autoverkehr ein genügend großer Abstand vorhanden sein, bevor sich der Radfahrer einordnen kann. Ein direkter Blickkontakt mit anderen Verkehrsteilnehmern muss in diesen Abbiegefällen zur Orientierung – soweit möglich – hergestellt und aufrechterhalten werden.

Überholsituationen können im Zusammenhang mit Abbiegevorgängen zu gesteigerten Unfallrisiken führen, wenn z. B. die Geschwindigkeit des zu überholenden Fahrzeugs verkannt wird. So ist aus der Sicht eines Überholenden z. B. bei einem langsam fahrenden Kfz wie einem Traktor nicht ohne weiteres aus der geringen Geschwindigkeit auf ein bevorstehendes Abbiegen nach links zu schließen, weil solche Fahrzeuge stets wesentlich langsamer sind als etwa Pkw (OLG Nürnberg DAR 2001, 170 f.).

Beim indirekten Linksabbiegen überqueren Radfahrer zunächst die Kreuzung (Abs. 2 Satz 1), stellen sich die Radfahrer – soweit nach Verkehrslage und den straßenbaulichen Gegebenheiten möglich – vor oder neben den Autofahrern auf und warten gemeinsam mit diesen die nächste Grünphase ab. Weniger erfahrene Radfahrer überqueren die Kreuzung mit dem Rad, steigen ab und werden danach zunächst zu Fußgängern, die erst nach dem Überqueren der Kreuzung erneut zu Radfahrern werden. Hat sich ein Linksabbieger eingeordnet und die beabsichtigte Änderung seiner Fahrtrichtung durch den Fahrtrichtungsanzeiger angekündigt, so darf dieser, wenn rechts von ihm genügend Platz vorhanden ist, gem. § 5 Abs. 7 S. 1 nur noch rechts überholt werden, anderenfalls muss der überholwillige Fahrzeugführer hinter dem Linksabbieger warten. Biegt ein Fahrzeugführer verkehrswidrig nach links ab, so trifft ihn im Falle einer Kollision mit einem ihn überholenden Fahrzeug grundsätzlich die alleinige Haftung (KG DAR 2002, S. 557 f.).

Ankündigen des Abbiegens

Eine Ankündigung des Abbiegens muss von einem Fahrzeugführer stets dann vorgenommen werden, wenn seinerseits in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Ankündigung ein Fahrvorgang erfolgt, der potenziell dazu geeignet ist, andere Verkehrsteilnehmer zu überraschen. Diese sollen vielmehr auf das kommende Fahrmanöver des Abbiegenden vorbereitet werden.

Das Abbiegen ist insbesondere dann anzukündigen, wenn es an der vom Fahrzeugführer vorgesehenen Stelle etwa durch Zeichen 214 (vorgeschriebene Fahrtrichtung) verboten ist. In diesen Fällen vertrauen andere ortskundige Verkehrsteilnehmer auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 regelmäßig darauf, dass die örtlich geltenden Vorschriften auch tatsächlich eingehalten werden und bedürfen gerade aus diesem Grund eines besonders augenfälligen Hinweises auf von dem erlaubten Verhalten abweichenden Verkehrshalten.

Mit der Wahrnehmung der Ankündigungspflicht kommen abbiegende Fahrzeugführer einer der zahlreichen speziellen Sorgfaltsverpflichtungen aus der StVO nach, andere Verkehrsteilnehmer auf eine Änderung des eigenen Fahrverhaltens aufmerksam zu machen.

Auch wenn die Fahrtrichtung durch Zeichen 209 oder 214 vorgeschrieben ist und in diese Richtung abgebogen wird, muss bei diesen Abbiegevorgängen der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und damit der Vorgang des Abbiegens angekündigt werden. Aus der amtl. Begründung ist sogar zu entnehmen, dass zum Zwecke des Einübens einer am Gedanken der Verkehrssicherheit orientierten Fahrweise selbst dort der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt werden soll, wo weit und breit kein anderer Verkehrsteilnehmer in Sicht ist.

Ebenso muss die Änderung der Fahrtrichtung angezeigt werden, wenn Fahrzeugführer der abknickenden Vorfahrtstraße folgen, die durchAnlage 3 zu § 42 Zeichen 306 mit Zusatzzeichen lfd. Nr. 2.1 Spalte 3 Nr. 2 angeordnet wird. Auch wer einer abknickenden Vorfahrtstraße folgt, ändert durch seine abweichende Bewegungsrichtung gleichzeitig auch seine tatsächliche Fahrtrichtung.

Eine Ankündigung des Abbiegens muss rechtzeitig erfolgen, damit sich die anderen Verkehrsteilnehmer frühzeitig auf das kommende Fahrmanöver des Abbiegenden einstellen können. Damit ist in erster Linie ein zeitlicher Begriff angesprochen. Ein »rechtzeitiges« Einschalten des Fahrtrichtungsanzeigers liegt im Ergebnis immer dann vor, wenn sich die anderen Verkehrsteilnehmer auf den Abbiegevorgang mit genügendem zeitlichen Vorlauf einstellen können. Entscheidend für die Qualifizierung als »rechtzeitig« ist weniger die Entfernungs- als die zeitliche Komponente. Rechtzeitig ist die Ankündigung, wenn sie »eine geraume Zeit vor Einleitung des Abbiegemanövers« erfolgt.

Zeitlich reicht die Verpflichtung zur Ankündigung des Abbiegens so lange und örtlich so weit, bis der Abbiegevorgang vollständig abgeschlossen, d. h. die neue Fahrtrichtung vollkommen eingeschlagen worden ist, was an der Stellung des Lenkrads, Lenkers und der Räder deutlich erkennbar ist. Ein rechtzeitiges Ankündigen des Abbiegens liegt nur dann vor, wenn sich der übrige fließende Verkehr auf das zukünftige Verhalten des Abbiegenden einstellen kann.

Mit der Ankündigungspflicht korrespondiert im System Straßenverkehr eine Wahrnehmungspflicht auf Seiten der entgegenkommenden, nachfolgenden und kreuzenden Verkehrsteilnehmer. Diese müssen sich in ihrem Verkehrsverhalten nun ihrerseits auf den rechtzeitig und deutlich angekündigten Abbiegevorgang einrichten und den entsprechenden Vorfahrt- und Vorrangregeln folgen.

Fahrtrichtungsanzeiger

Die Ankündigung einer Änderung der bisherigen Fahrtrichtung muss auf eine Weise erfolgen, die dazu geeignet ist, die Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer gewinnen zu können. Dies geschieht mit Hilfe der Fahrtrichtungsanzeiger. Kontraproduktiv i. S. e. möglichst gut sichtbaren Anzeigens sind insoweit z. B. abgedunkelte bzw. abgetönte Fahrtrichtungsanzeiger, deren Plastikabdeckungen insbesondere tagsüber kaum noch ein Aufleuchten der Glühlampen nach außen dringen lassen. Ist ein bei einem Abbiegevorgang verunfalltes Kfz mit derartigen Fahrtrichtungsanzeigern ausgestattet, so sollte diese Tatsache im Unfallprotokoll vermerkt und als mitursächliche Komponente festgestellt werden. Ebenso wenig auffällig sind im Übrigen auch die Fahrtrichtungsanzeiger von Fahrzeugen amerikanischer Bauart, die rot blinken und ebenfalls einen nur sehr geringen Kontrast aufweisen. Fahrtrichtungsanzeiger dürfen überdies gem. § 17 Abs. 1 S. 2 weder verdreckt noch verschmutzt sein, um ihrem Hinweiszweck genügen zu können.

Wer die Änderung der Fahrtrichtung anzeigt, muss dies auch in der richtigen Weise tun, d. h. ohne die Betätigung des linken und rechten Fahrtrichtungsanzeigers zu verwechseln wie dies tatsächlich oft bei unsicheren Fahrzeugführern und Fahranfängern mit geringer Fahrpraxis der Fall ist. Wer dennoch fehlerhaft den falschen, nicht zur durchgeführten Fahrtrichtungsänderung passenden Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, handelt nicht nur vorschriftswidrig gegen Abs. 1 S. 1, sondern verschuldet auch einen Verkehrsunfall, der dadurch entsteht, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer auf der Grundlage des Vertrauensgrundsatzes aus § 1 Abs. 1 auf das korrekte Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers zum richtigen Zeitpunkt vertraut hat.

Im Rahmen der Unfallaufnahme von Abbiegeunfällen wird von den unfallbeteiligten Fahrzeugführern oft das rechtzeitige Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers behauptet. Diese Behauptung kann im Rahmen der nachfolgenden Befragung durch entsprechende Zeugenaussagen bewiesen oder auch widerlegt werden. In jedem Fall ist es hilfreich, den Zustand der Fahrtrichtungsanzeiger so weit möglich auch fotografisch sichern und einen Funktionstest noch am Unfallort vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen.

Richtungsanzeige durch Radfahrer

Wer über keine technischen Hilfsmittel zur Fahrtrichtungsanzeige verfügt wie z. B. Radfahrer, die meisten Mofafahrer und Führer von Pferdefuhrwerken, muss zur Anzeige seines künftigen Fahrweges die Hände und Arme in einer Weise benutzen, die für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar ist. Zeigt ein Fahrradfahrer seinen Abbiegevorgang nicht mit seiner Hand an, so verhält er sich grob verkehrswidrig. Radfahrer sind als gegenüber dem Kfz-Verkehr konstitutionell benachteiligte Verkehrsart bereits in ihrem eigenen Sicherheitsinteresse besonders dazu verpflichtet, andere Verkehrsteilnehmer auf ihr Fahrverhalten wo notwendig auch aufmerksam zu machen, um nicht übersehen und angefahren zu werden. Dazu gehört neben der korrekten Fahrtrichtungsanzeige per Hand regelmäßig auch eine intakte Beleuchtungseinrichtung, die den Anforderungen der StVZO gerecht wird sowie bei besonders aufmerksamen und um ihr Wohl besorgten Fahrern auch Schutzhelm und Bekleidung in Sicherheitsfarben. Derart auffällige Bekleidung, Ausrüstung und Verhalten würden in einem Prozess durch Zeugenaussagen in das Verfahren eingebracht werden können und müssten bei verkehrskonformem Verhalten regelmäßig zu einem vollen Haftungsausschluss des insoweit besonders aufmerksamen Radfahrers führen.

Abbiegen bei Schienenfahrzeugen

Schienenfahrzeuge sind dazu berechtigt, ihrem Fahrweg ungehindert durch andere Fahrzeugführer, die links abbiegen wollen und dabei die Fahrspur der Schienenbahn kreuzen müssen, folgen zu können.

Als Linksabbieger sind andere Fahrzeugführer nach § 9 Abs. 1 S. 3 gehalten, sich nur dann auf den Schienen einzuordnen, wenn sie kein Schienenfahrzeug behindern. Diese Verpflichtung setzt die Einschätzung und Bewertung voraus, dass bei Berücksichtigung der Verkehrslage eine Straßenbahn auch nicht alsbald herankommen kann. Eine über 50 % hinausgehende Haftung des Betreibers der Schienenbahn ist bei Verkehrsunfällen mit anderen Fahrzeugen in einem solchen Fall auf der Grundlage einer größeren Betriebsgefahr des Schienenfahrzeugs nicht gerechtfertigt.

Rückschaupflicht und doppelte Rückschaupflicht

Auf der Grundlage von S. 4 werden Abbiegende dazu verpflichtet, »auf den nachfolgenden Verkehr zu achten«. Eine solche Beachtungsverpflichtung kann nur dann verantwortungsbewusst wahrgenommen werden, wenn der nachfolgende Verkehr mit den Sinnesorganen bewusst wahrgenommen wird. Diese Verpflichtung beinhaltet als besondere, gegenüber der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 1 herausgehobenen Sorgfaltsverpflichtung zunächst eine Rückschaupflicht, der bereits zu einem Zeitpunkt nachzukommen ist, wenn der Vorgang des Abbiegens noch nicht in die Tat umgesetzt worden ist. Bevor also die notwendigen Fahrhandlungen wie Verlangsamen, Zurückschalten und Lenkbewegung vorgenommen werden, muss nach S. 4 zunächst der rückwärtige Verkehr beobachtet werden.

Wie wichtig neben dem Verhalten des Unfallverursachers auch das Verhalten des Geschädigten ist, zeigt die Entscheidung des OLG Nürnberg (VRS 104, 177 ff.). In diesem Fall konnte ein Mitverschulden des zum Überholen ansetzenden Motorradfahrers an dem Unfallgeschehen ausgeschlossen werden, da er sämtlich Pflichten eines Überholenden aus den §§ 5, 3 beachtet hatte und lediglich der vorausfahrende Abbieger seiner Rückschaupflicht aus Abs. 1 S. 4 nicht nachgekommen war. Für die dem Verkehrsunfall nachfolgende Regulierung der Haftung ist es für die Verteilung der Haftungsquoten hilfreich, wenn die Verursachung des Unfallgeschehens so eindeutig zugeordnet werden kann.

Mit der Rückschaupflicht tritt die Verpflichtung aus § 23 Abs. 1 S. 1 in Verbindung, wonach ein Fahrzeugführer dafür Sorge tragen muss, in seiner Sicht nicht durch Ladung, Geräte oder den Zustand seines Fahrzeugs beeinträchtigt zu werden.

Wer als Linksabbieger der Rückschaupflicht beim Einordnen nachgekommen ist und im Rahmen der zweiten, direkt vor dem Abbiegen erfolgenden Rückschau ein sich aus rückwärtiger Richtung näherndes und zum Überholvorgang ansetzendes Fahrzeug bemerkt, muss den Abbiegevorgang unterbrechen und darf diesen erst nach dem Abschluss des Überholvorgangs vollenden. Diese Bewertung ist sachgerecht, weil sie dazu führt, dass die Rückschaupflicht ganz im Sinne der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus§ 1 Abs. 1 mit einer ständigen Pflicht zur Aufmerksamkeit verkoppelt wird. Auf eine Verletzung dieser Rückschauverpflichtung kann durch die einen Streitfall entscheidenden Richter auch auf der Grundlage eines ermittelten Unfallgeschehens geschlossen werden. So ermittelten die Richter des OLG Nürnberg in einem Unfallgeschehen zwischen einem abbiegenden Pkw und einem diesen überholenden Motorrad die beiden möglichen Geschehensvarianten einer entweder vollständig unterlassenen oder aber einer unaufmerksam gehandhabten Rückschaupflicht des Pkw-Fahrers. In beiden Fällen sahen die Richter einen Verstoß des Abbiegenden gegen S. 4 als gegeben an.

Die Rückschaupflicht wird zur doppelten Rückschaupflicht erweitert, wenn der Abbiegende sich mit seinem Fahrzeug vor dem Abbiegevorgang zunächst einmal zur Straßenmitte (Linksabbieger) oder zum rechten Straßenrand (Rechtsabbieger) hin einordnen muss, um daraufhin den zweiten Vorgang des Abbiegens daran anzuschließen. Noch intensiver ist der doppelten Rückschaupflicht nachzukommen, wenn es sich bei dem abbiegenden Fahrzeug um ein Gespann oder ein vergleichbar langes Fahrzeug handelt. Fahrzeugführer dieser längeren Fahrzeuge müssen stets die Tatsache beachten, dass sie während ihres Abbiegevorganges den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich zeitlich länger und räumlich intensiver in Anspruch nehmen als dies bei kürzeren Fahrzeugen der Fall ist.

Wer in eine Einbahnstraße nach links abbiegen will, muss dazu keinen weiten Bogen beschreiben, da er aus Richtung der Einbahnstraße nicht mit erlaubtem Gegenverkehr rechnen muss. Kommt es während des Abbiegens zu einem Verkehrsunfall mit einem rückwärts ausparkenden PKW, so liegt kein ordnungswidriges Verhalten des Abbiegenden vor, sondern vielmehr ein Verstoß des Ausparkenden gegen die besondere Sorgfaltsverpflichtung aus Abs. 5, beim Rückwärtsfahren die Gefährdung nachfolgender Verkehrsteilnehmer auszuschließen zu müssen. Auch für den Fahrvorgang des Einparkens in eine Parktasche gilt die doppelte Rückschaupflicht, wenn der Einparkende zu diesem Zweck zunächst abbiegen muss. Muss der Fahrzeugführer nach dem Einordnen zunächst einmal verkehrsbedingt warten, ehe er abbiegen kann, so muss er der Rückschaupflicht nochmals nachkommen, da sich zwischenzeitlich ein anderer Fahrzeugführer neben seinem Fahrzeug hätte platzieren können.

Befindet sich der Abbiegende am Beginn einer sich hinter ihm gebildeten Fahrzeugschlange, so beinhaltet die Rückschaupflicht auch die Beobachtung, ob sich ein die Fahrzeugschlange in einem Zug überholendes Fahrzeug nähert. Kommt es infolge einer vernachlässigten Rückschaupflicht zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Abbiegenden und dem die Fahrzeugschlange überholenden Fahrzeug, so liegt beim Abbiegenden ein Verstoß gegen die Pflicht zur doppelten Rückschau aus Abs. 1 S. 4 vor. Zur Wahrnehmung der Rückschaupflicht sind Innen- und Außenspiegel zu benutzen. Zusätzlich ist jedoch in den Fällen, in denen eine Rückschau mittels der vorhandenen Spiegel den konkreten Anforderungen der jeweiligen Verkehrssituation nicht genügt, der Schulterblick durchzuführen, um dadurch den toten Winkel auszugleichen. Gewinnt der Fahrzeugführer bereits durch die Rückschau vor dem Einordnen den berechtigten Eindruck, dass andere Verkehrsteilnehmer während seines Abbiegens nicht gefährdet werden können, so ist eine nochmalige zweite Rückschau direkt vor dem Abbiegevorgang nicht notwendig.

Pflicht zum Einordnen

Nach Abs. 1 S. 2 müssen Fahrzeugführer, die abbiegen wollen, sich entsprechend des kommenden Abbiegevorganges entweder nach rechts oder nach links, in jedem Fall aber rechtzeitig einzuordnen.

Das vor dem Abbiegen erforderliche korrekte Einordnen scheitert in der Verpflichtung, dies möglichst weit rechts zu tun, nicht bereits daran, dass mehrspurig nach rechts abgebogen wird. Jedenfalls wurde für das paarweise Abbiegen eine Rechtmäßigkeit zumindest im Großstadtverkehr angenommen, solange dadurch kein anderer Verkehrsteilnehmer behindert wird. Auch ein Abbiegen in dritter Spur wird durch § 9 nicht grundsätzlich ausgeschlossen (KG VRS 77, 237 ff.). Üblicherweise ist dieser Verkehrsvorgang auf großen Kreuzungen anzutreffen, wobei sich Linksabbieger trotz eines Rückstaus auf dem rechtwinklig zu ihrer Fahrtrichtung gelegenen Fahrstreifen in den Kreuzungsbereich hinein schieben und sich in bis zu drei Fahrspuren nebeneinander in der Hoffnung aufbauen, die Kreuzung noch während ihrer eigenen Grünphase verlassen zu können. Kommt es in diesen Fällen zu einem Auffahrunfall, indem ein anderer Fahrzeugführer auf das Fahrzeug des Abbiegenden auffährt, weil dieser zunächst angefahren ist, dann aber doch abrupt abstoppen musste, weil er den Kreuzungsbereich entgegen seinen Erwartungen doch nicht hat räumen können, liegt ein Verstoß des Abbiegenden gegen die Pflicht zum Gefährdungsausschluss aus Abs. 1 S. 4 vor.

Als Radfahrer nach links abbiegen

Für die nach links abbiegenden Radfahrer gilt nach Satz 1 keine Einordnungspflicht, wenn der Abbiegevorgang durch Überqueren der Fahrbahn erst hinter der Kreuzung stattfinden soll.

Ist auf der Fahrbahn ein Fahrstreifen für Radfahrer abgeteilt, so dürfen diese auf dem Radweg bis zu einer LZA vorfahren, auch wenn sich links neben dem Radfahrstreifen Fahrzeuge zum Rechtsabbiegen eingeordnet haben.

Wenn sich Radfahrer in den Fällen des Abbiegens dennoch einordnen möchten, spricht S. 3 nicht gegen einen solchen Entschluss. In diesen Fällen gelten jedoch die Regeln aus S. 1 und S. 5 unvermittelt weiter, so dass der Radfahrer in diesen Fällen zu seinem Schutz nicht gänzlich pflichtenlos abbiegen kann. Diese Grundregelung des Abbiegens von Radfahrern berücksichtigt die Gewohnheit vieler Radfahrer, während ihrer Fahrtroute stets den für sie kürzesten Weg zu wählen und in diesem Rahmen Sicherheitserwägungen womöglich in den Hintergrund zu stellen.

Nach der Regelung des Abs. 2 S. 3 besteht für Radfahrer die Verpflichtung, bei der Nutzung von vorhandenen Radverkehrsführungen deren Verlauf zu folgen. In diesen Fällen dürfen Radfahrer die Radverkehrsführungen nicht eigenmächtig verlassen, da sie sonst ordnungswidrig handeln und im Falle von Verkehrsunfällen einen Großteil des Verschuldens tragen würden. Eine zusätzliche, die Radfahrer dann im doppelten Sinne verpflichtende Beschilderung ist nicht notwendig.

Vorrang des Längsverkehrs

Der in Abs. 3 beschriebene Vorrang des Längsverkehrs hat den Sinn, den Verkehrsfluss durch einen Rücktritt des abbiegenden Verkehrs gegenüber dem fließenden Geradeausverkehr insgesamt zu erhöhen. Der fließende Geradeausverkehr ist durch diesen Vorrang besonders geschützt. Ein Fahrzeugführer, der eine Kreuzung von einem Sonderfahrstreifen aus gerade überqueren will, für dessen Benutzung er nicht berechtigt ist, verliert gegenüber einem entgegenkommenden Linksabbieger seinen Vorrang aus diesem Grund nicht.

Einen inneren Zusammenhang gibt es zwischen den Vorschriften des § 9 und den Vorschriften über die erlaubte Höchstgeschwindigkeit aus§ 3 Abs. 3. Je schneller ein gegenüber einem Linksabbieger bevorrechtigtes Fahrzeug auf den Verkehrsknoten zufährt, desto weniger groß bemessen ist der zeitliche und räumliche Handlungsspielraum eines auf eine Lücke im fließenden Verkehr angewiesenen Abbiegenden. Diese Lücke wird allerdings in unzulässiger Weise verkleinert, wenn der bevorrechtigte Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet.

– Vorrang von Fußgängern

Ein besonderes Gebot zur Rücksichtnahme trifft die abbiegenden Fahrzeugführer gem. Abs. 3 Satz 3 gegenüber Fußgängern als besonders schutzwürdige Verkehrsteilnehmer. Ein Linksabbieger hat nicht nur den Gegenverkehr zu beachten, sondern auch den die Straße überquerenden Fußgänger, in die er einbiegen möchte, den Vorrang zu belassen und ihnen die gefahrlose Überquerung zu ermöglichen.

Die Vorschrift begünstigt den entgegenkommenden oder gleichgerichteten Längsverkehr und räumt dem eine Straßeneinmündung querenden Fußgänger auch außerhalb förmlicher Fußgängerüberwege generell eine vorrangähnliche Stellung ein. Die Vorschrift sei auch anwendbar, wenn ein Fußgänger aus Sicht des Fahrzeugführers längs der Fahrbahn eine Einmündung innerhalb der geschützten Querungstrasse überquere, selbst wenn die vom Fahrzeug befahrene Straße sich nach der Einmündung nicht fortsetze. Das Vorrecht des Fußgängers werde allerdings durch das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme gem. §§ 1 Abs. 1, 11 Abs. 3 eingeschränkt. Betrete ein Fußgänger die Fahrbahn, obwohl er schon durch einen beiläufigen Blick hätte erkennen können, dass durch ein abbiegendes Kfz Gefahr droht, und komme es sodann zu einer Kollision, könne dies zu einer Minderung der Schadensersatzansprüche des Fußgängers wegen Mitverschuldens führen.

– Vorrang von Radfahrern

Wer nach rechts abbiegen möchte, muss nach S. 1 nicht nur größere Fahrzeuge wie Straßenbahnen vor Vollendung eines Abbiegevorganges in derselben Fahrtrichtung passieren lassen, sondern auch die fahrphysikalisch benachteiligten Radfahrer.

Auch im Verkehrsfluss kommt es regelmäßig zu gefährlichen Konflikten zwischen Radfahrern, die dem Verlauf der Straße geradeaus weiterhin folgen möchten, und Kraftfahrzeugführern, die an der nächsten Einmündung nach rechts abbiegen wollen, die Radfahrer noch rasch überholen und während des Rechtsabbiegens die Fahrspur des Radfahrers schneiden. In diesem Verhalten liegt regelmäßig ein gefährdender Verstoß des abbiegenden Kraftfahrzeugführers gegen Abs. 3 S. 1 i. V. m. einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 vor, wenn der Radfahrer durch das Schneiden seines Fahrweges zu einer Vollbremsung oder gar zum Absteigen aus voller Fahrt gezwungen wird. Handelt der Kraftfahrzeugführer darüber hinaus rücksichtslos, d. h. eigensüchtig und gleichgültig gegenüber dem Radfahrer kann sich der Autofahrer auch einer Anklage wegen einer Straftat der Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB gegenübergestellt sehen, da er grob verkehrswidrig bei einem Überholvorgang falsch gefahren ist. Der Vorgang des Ausbremsens eines sich in gleicher Fahrtrichtung bewegenden Fahrzeuges durch einen dem Überholvorgang unmittelbar nachfolgenden Abbiegevorgang ist als ein Handlungsvorgang anzusehen, bei dem der Abbiegevorgang als natürliche Handlungseinheit nicht von dem gleichzeitig erfolgenden Überholvorgang abgekoppelt werden kann. Die entgegenstehende Auslegung ist sachfremd und stützt im Ergebnis diese verkehrsgefährdende Handlungsweise, indem kriminelles Unrecht durch eine verkürzende Auslegung zu bloßem Ordnungsunrecht umdefiniert wird.

Besonders die LKW-Fahrer müssen auf Fahrbahnen mit davon abgeteilten rechten Radwegen oder aber parallel dazu verlaufenden von der Fahrbahn getrennten Radwegen damit rechnen, dass sich Radfahrer zur Weiterfahrt in Geradeausrichtung bis zur LZA heran schieben, um zu Beginn der folgenden Grünphase ihren Fahrweg fortzusetzen und ihren Vorrang gegenüber den Rechtsabbiegern geltend zu machen. Gerät z. B. ein auf einem rechten Radweg geradeaus fahrender Radfahrer in den toten Winkel eines nach rechts abbiegenden LKW, so kommt der LKW-Fahrer regelmäßig dann mit der Sorgfaltspflicht aus Abs. 3 S. 1 in Konflikt, wenn er den geradeaus fahrenden Radfahrer bei seinem Abbiegevorgang nicht beachtet und einfach drauflos abbiegt. Verletzt er dabei den Radfahrer, so liegt regelmäßig eine Straftat gem. § 229 StGB vor.

– Vorrang von Schienenfahrzeugen

Handelt es sich beim Längsverkehr, mit dem sich ein Linksabbieger konfrontiert sieht, um eine Straßenbahn, so gilt das Vorranggebot aus Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 3, das noch verstärkt wird durch § 2 Abs. 3.

Grundsätzlich darf sich nämlich ein Straßenbahnführer im Rahmen seiner Verkehrsteilnahme darauf verlassen, dass andere Verkehrsteilnehmer auf seinen Vorrang gem. §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 StVO Rücksicht nehmen. Erst zu einem Zeitpunkt, in dem sich für den Straßenbahnführer die konkrete Gefahr einer Kollision aufdrängt und eine rechtzeitige Räumung des Gleisbereichs aus seiner Sicht unwahrscheinlich ist oder sich die Straßenbahn sonst einer unklaren Verkehrssituation nähert, entfällt die schützenswerte Berechtigung des Straßenbahnführers, auf seinen Vorrang zu vertrauen. In einer solchen Situation ist ein Straßenbahnführer ggf. sogar zur Einleitung einer Gefahrenbremsung verpflichtet.

Verhalten beim Abbiegen

Die Vorschrift des § 9 StVO enthält keine genauen Regelungen über das Verhalten während des Abbiegevorgangs. Dadurch gelten für die Ausführung des Abbiegens die allgemeinen Vorschriften. Ein Fahrzeugführer im Längsverkehr muss dem Vertrauensgrundsatz aus § 1 Abs. 1 StVO folgend bei für ihn grünem Licht einer LZA nicht damit rechnen, dass sich ein aus der entgegen gesetzten Richtung kommendes Fahrzeug unvermittelt dazu entschließt, seine Fahrspur abbiegend zu kreuzen.

– Abbiegen und Geschwindigkeit

Die Abbiegenden haben ihre Geschwindigkeit vor und während des Abbiegevorganges zu ermäßigen, damit ihr Fahrzeug auf Grund der auf das Fahrzeug einwirkenden Fliehkräfte nicht die beabsichtigte Fahrspur verlässt. Wäre dem so, würde ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 3 Abs. 1 vorliegen, weil keine an die Straßen- und Verkehrsverhältnisse angepasste Geschwindigkeit gewählt worden ist.

– Abbiegen eines Verbandes

Biegt das erste Fahrzeug eines deutlich gekennzeichneten Verbandes unter Beachtung der Verpflichtung aus S. 1 nach links ab, so dürfen auch alle weiteren zum Verband zugehörigen Fahrzeuge in einem Zug nach links abbiegen, weil der gesamte Verband als ein Verkehrsteilnehmer betrachtet werden muss.

Auch wer als Autofahrer durch einen Durchbruch des ansonsten durchgehenden Mittelstreifens auf den linken Fahrstreifen der Gegenfahrbahn wechseln möchte, biegt während dieses Wendevorganges zunächst einmal ab und hat demnach den auf der Gegenfahrbahn ankommenden Gegenverkehr durchfahren zu lassen.

Mehrere Abbieger

I. Rechtsabbieger vor Linksabbieger

Nicht nur den entgegenkommenden Fahrzeugen muss ein Linksabbieger den Vorrang gewähren, sondern darüber hinaus auch den entgegenkommenden Rechtsabbiegern, so dass in diesen Begegnungsfällen die Regel »Rechtsabbieger vor Linksabbieger« gilt. Problematisch können diejenigen Fälle werden, in denen ein Linksabbieger sich bereits eingeordnet und zum Abbiegen angesetzt hat, wenn ein entgegenkommender Rechtsabbieger, nunmehr gleichzeitig mit dem Linksabbieger in dieselbe Straße abbiegen will. In diesen Fällen liegt der Verstoß gegen die Vorschrift des § 9 Abs. 4 beim Linksabbieger, wenn er den Rechtsabbieger bereits an die Straßenecke herannahen sah.

II. Tangentiales Linksabbiegen

Kommen sich zwei Linksabbieger entgegen, so müssen diese nach Abs. 4 S. 2 grundsätzlich tangential voreinander abbiegen, womit beide Fahrzeugführer der Regelung aus Abs. 3 S. 1 folgen, ein entgegenkommendes Fahrzeug (tangential) in die erwünschte Fahrtrichtung durchfahren zu lassen. Diese Unterart des Linksabbiegens kann durch entsprechende Markierung von Linksabbiegestreifen in der Kreuzung unterstützt werden.

Wenn ein Verkehrsteilnehmer mit seinem Fahrzeug die linke Spur einer straßenbaulich durch einen Mittelstreifen von der Gegenfahrbahn getrennten Richtungsfahrbahn befährt, muss er, dem Vertrauensgrundsatz aus § 1 Abs. 1 folgend, nicht damit rechnen, dass alsbald ein Verkehrsteilnehmer von der Gegenfahrbahn auf seine Fahrbahn überwechselt, indem er einen Mittelstreifendurchbruch unaufmerksam befährt.

III. Linksabbiegen umeinander

Gibt die straßenbauliche Situation auf Grund mangelnder Länge oder Breite keine räumliche Grundlage für ein tangentiales Abbiegen, so ist ein Linksabbiegen erst dann zulässig, wenn die Fahrzeuge einander passiert haben, so dass nunmehr ein Linksabbiegen umeinander herum vorliegt.

Abbiegen in ein Grundstück, Wenden und Rückwärtsfahren

Bei diesen Fahrvorgängen handelt es sich um potenziell besonders gefährliche Verkehrssituationen, für deren gefahrlose Bewältigung über die in den anderen Absätzen formulierten Pflichten hinaus die besonderen Pflichten aus Abs. 5 gelten.

Abbiegen in ein Grundstück

Beim Abbiegen in ein Grundstück, muss der Abbiegende zunächst einmal die allgemeinen Pflichten des Abbiegenden aus Abs. 1 und 3 beachten. Darüber hinaus muss von diesen Verkehrsteilnehmern auch noch die besondere Sorgfaltspflicht des Abs. 5 beachtet werden, bei seinem beabsichtigten Fahrvorgang die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.

Will ein Linksabbieger auf einen neben der Fahrbahn befindlichen Parkplatz fahren, hat er im Sinne eines Gefährdungsausschlusses also die größtmögliche Vorsicht walten zu lassen. Dieser Pflicht kommt er regelmäßig nur nach, wen er den Gegenverkehr besonders aufmerksam beobachtet und in Zweifelsfällen eher länger wartet als eine kleinere Lücke zu nutzen.

Ob es sich bei einem von der Fahrbahn in Form einer Parktasche durch eine weiße Linie abgeteilten Parkplatz um ein Grundstück i. S. v. Abs. 5 handelt, für dessen Benutzung der Gefährdungsausschluss gilt, ist umstritten. Gegen diese Bewertung wird eingewandt, dass der Grundstücksbegriff der §§ 9 und 10 gleichbedeutend ist und in beiden Fällen eine Verkehrsfläche meint, die nicht für den fließenden Verkehr zur Verfügung steht, was daher auf Parktaschen nicht zutrifft. Bereits dem Wortlaut nach handelt es sich bei einer von der Fahrbahn abgetrennten Parktasche nicht um ein Grundstück, so dass eine derart weite Auslegung den Grundstücksbegriff überdehnen würde. Eine analoge Anwendung des Grundstücksbegriffs auf Abbiegevorgänge in Parktaschen wäre rechtswidrig, da das strafrechtliche Analogieverbot auch für das Recht der Ordnungswidrigkeiten gilt. Dennoch sind Abbiegevorgänge in Parktaschen von ihrer Gefährlichkeit für die Sicherheit des fließenden Verkehrs als gleich gefährlich anzusehen wie der Vorgang des Abbiegens in ein neben der Fahrbahn gelegenes Grundstück und als nahezu ebenso gefährlich anzusehen wie die Vorgänge des Wendens und Rückwärtsfahrens auf der Fahrbahn. Der Verordnungsgeber sollte demnach die Fälle des abbiegenden Einparkens in eine Neuregelung des § 9 aufnehmen. Einstweilen gilt für diese Fälle die allgemeine Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 1.

Bei einem Wald- oder Feldweg handelt es sich zwar nicht um ein »Grundstück« im Sinne des § 9 Abs. 5, es gelten jedoch, abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, ähnlich verschärfte Pflichten. Im Grundsatz gilt, je weniger erkennbar das Ziel abzubiegen im Fahrverkehr erkennbar ist, umso sorgfältiger muss der Abbiegende sich verhalten.

Wenden

Ein Fahrzeugführer wendet, indem er mit seinem Fahrzeug in die entgegengesetzte Richtung auf demselben Straßenteil umkehrt. Dazu ist es erforderlich, in einem oder mehreren Lenk- und Rangierzügen umzusteuern. Gefährlich kann dieser Vorgang dann werden, wenn der Fahrzeugführer in der notwendigen Beobachtung der Fahrzeugführer aus beiden Fahrtrichtungen Defizite aufweist.

Ist beim Umdrehen des Fahrzeugs in die Gegenrichtung auf derselben Straße die Gegenfahrbahn erreichbar, ohne dass zuvor nach Einbiegen in den Mittelstreifendurchbruch eine gewisse Strecke geradeaus gefahren wird, so ist regelmäßig ein Wenden anzunehmen.

Bei der Klassifizierung als Wendevorgang kommt es nicht auf den Zweck dieses Vorgangs an, sondern nur auf die fahrtechnische Ausführungshandlung.

Das Wenden ist nach dem Regelungsgehalt des § 9 Abs. 5 nicht nur dort erlaubt, wo dies ohne Anhalten, gewissermaßen in einem Zuge, möglich ist. Es sei daher nicht grundsätzlich verboten, beim Wenden die Fahrbahn zu blockieren. Vielmehr müsse der Wendende erst dann von dem Fahrmanöver Abstand nehmen, wenn sich aus der Blockierung der Fahrspur eine konkrete Gefahr ergebe. Diese Situation könne beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Wendende bei Nacht eine vielbefahrende Ausfallstraße blockiere.

Auch beim Fahrvorgang des Wendens gilt ein »besonders strenger Sorgfaltsmaßstab«. Im Sinne des Gebotes zur Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer aus § 1 Abs. 1 sollte ein begonnener Abbiege- oder Wendevorgang im Notfall rechtzeitig abgebrochen und zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt in die Tat umgesetzt werden. Dem besonderen Sorgfaltsmaßstab des Abs. 5 kommen Fahrzeugführer regelmäßig dann nicht nach, wenn sie sich beim Wenden allein auf die optische Wahrnehmungsfähigkeit verlassen und dabei die möglichen akustischen Signale aus ihrer Wahrnehmung ausblenden. So bedeutet ein »achtloses Verhalten«, wenn eine Radfahrerin bei einem Wendevorgang ein deutlich akustisch wahrnehmbares Motorrad ignoriert. Kommt es infolge eines Wendevorganges zu einem Verkehrsunfall, so muss nicht nur ein möglicher Fehler des wendenden Fahrzeugführers ermittelt werde, sondern auch ein möglicher Verkehrsverstoß des entgegenkommenden Fahrzeugführers gegen die geltenden Geschwindigkeitsvorschriften. In diesen Fällen spricht nach Auffassung des Berliner KG der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Wendenden. Wenn der wendende Fahrzeugführer sich auf ein Mitverschulden des Verkehrsteilnehmers im fließenden Verkehr beruft, so trägt der Wendende die Darlegungs- und Beweislast für dieses Mitverschulden und hat demnach dem Gericht im Haftungsprozess die entsprechenden Tatsachen vorzutragen.

Ein Kraftfahrer, der auf einer Straße mit zwei durch einen 11 m breiten Mittelstreifen getrennten Fahrbahnen an einem Mittelstreifendurchbruch die Fahrtrichtung ändert, um auf der Gegenfahrbahn in entgegen gesetzter Richtung weiterzufahren, wendet nach Ansicht des KG nicht, sondern biegt zweimal kurz hintereinander nach links ab. Das Durchfahren eines Mittelstreifens an einer dafür vorgesehenen Lücke ist nach dieser Ansicht regelmäßig dann als ein doppelter Abbiegevorgang und nicht als ein Wendevorgang zu bewerten, wenn der betreffende Fahrzeugführer den Fahrvorgang wegen der besonderen Breite der Mittelinsel nicht in einem Zug durchführen kann, sondern nach dem ersten Lenkradeinschlagen zunächst einmal wieder gerade ausrichten muss, um sodann ein zweites Mal das Lenkrad einzuschlagen.

Ein Wenden auf der Kraftfahrstraße liegt nicht vor, wenn ein Kraftfahrzeugführer zunächst nach rechts auf einen Parkplatz abbiegt, um dann unter Nutzung des auf der anderen Fahrbahnseite gegenüber liegenden Parkplatzes in die der bisherigen Fahrtrichtung entgegen gesetzte Richtung zu fahren. Auch wer eine Kraftfahrstraße verlässt, indem er zunächst nach links in einen Feldweg abbiegt, um dann in der entgegen gesetzten Richtung wieder in die Kraftfahrstraße einzubiegen, wendet nicht auf der Kraftfahrstraße.

Wendevorgänge, die in der Nähe des Schienenverkehrs durchgeführt werden, müssen besonders gut überlegt werden. Das Wendemanöver eines Kraftfahrers, das über eine Straßenbahnschiene führt, ist nur in den Fällen zulässig, wenn es zügig durchgeführt werden kann und insbesondere der Kraftfahrer nicht wegen herannahenden Gegenverkehrs auf den Schienen zum Stehen kommt. In diesen Fällen darf ein Straßenbahnfahrer auch darauf vertrauen, dass der Fahrer eines vor der Straßenbahn fahrenden Pkw ein ohnehin gefahrträchtiges Wendemanöver quer über die Straßenbahnschienen nur zu einem Zeitpunkt vornimmt, in dem er seinen Sorgfaltspflichten aus Abs. 5 nachgekommen ist und insbesondere das bevorstehende Überqueren der Gleise durch Lichtzeichen rechtzeitig angezeigt hat.

Erfordert die Streckenführung eines öffentlichen Linienbusses das Wenden durch einen Mittelstreifendurchbruch und kommt es bei den Wendevorgängen häufig zu gleichartigen Unfällen, indem das ausschwenkende Heck des Busses neben dem Bus an der Ampel wartende Fahrzeuge beschädigt, so ist der Fahrer des Busses gemäß § 9 Abs. 5 jedenfalls dann verpflichtet, sich bei jedem Wendevorgang einweisen zu lassen, wenn er den Bereich neben dem rechten Heck seines Fahrzeugs nicht einsehen kann.

Rückwärtsfahren

Die Regelungen des § 9, auch diejenigen des Abs. 5 zum Rückwärtsfahren, gelten im gesamten öffentlichen Verkehrsraum . Die erhöhte Sorgfaltspflicht des Abs. 5 gilt jedoch außerhalb des fließenden Verkehrs nach der h. M. stark eingeschränkt . Sachgerecht ist es daher im Falle von Kollisionen auf Parkplätzen und in Parkhäusern, ausschließlich auf der Grundlage von § 1 Abs. 1, 2 StVO ein Verschulden zuzuweisen. Nur dann, wenn der rückwärtige Raum frei und gut einsehbar ist, darf rückwärts gefahren werden. Anderenfalls ist zwingend ein Einweiser erforderlich. Kann sich der Kraftfahrer nicht selbst von der Gefahrenfreiheit überzeugen und hat er keinen Einweiser, darf er nicht rückwärtsfahren.

Rückwärtsfahren meint ein gewolltes Fahren in Heckrichtung, wobei es keine Rolle spielt, ob der Fahrzeugführer den Rückwärtsgang einlegt oder bloß auskuppelt und das Fahrzeug unter bewusster Ausnutzung der Schwerkraft nach hinten abrollen lässt . Wenn es aufgrund der Bauart eines Lkw nicht möglich war, sich über den Rückspiegel davon zu überzeugen, dass der Bereich hinter dem Lkw frei war und aufgrund der Sonneneinstrahlung auch über die Außenspiegel nicht zu erkennen war, ob sich etwas dahinter befand, hätte man einen Einweiser einteilen müssen.

Wer mit seinem Fahrzeug derart auf eine Kraftfahrstraße auffährt, dass er im Rückwärtsgang mit dem Heck zuerst auf die Kraftfahrstraße einbiegt, um dann nach Einlegen des Vorwärtsganges die Fahrt in die beabsichtigte Fahrtrichtung fortzusetzen, fährt rückwärts auf einer Kraftfahrstraße. Der auf diese Weise Einfahrende verstößt gegen das Verbot aus § 18 Abs. 7, auf einer Kraftfahrstraße nicht rückwärts zu fahren und müsste der Regelung des § 9 Abs. 5 folgend alles Erforderliche tun, um während dieses Fahrvorganges eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Ein Fahrzeugführer, der rückwärts in ein Grundstück einbiegen will, hat nicht nur bei Beginn der Rückwärtsfahrt auf den rückwärtigen Verkehr zu achten, vielmehr ist eine ständige Rückschau unerlässlich geboten. Ein zurückstoßender Fahrer muss also stets darauf achten, dass der Gefahrraum hinter seinem Fahrzeug frei ist und von hinten und von den Seiten frei bleibt.

Problematisch ist die Beweislage bei einem Verkehrsunfall zwischen einem möglicherweise nach rückwärts gerollten Kfz (Sachlage A) sowie einem möglicherweise auf dieses Kfz aufgefahrenes anderes Kfz (Sachlage B). Ein Sachverständiger vermag in diesen Fällen regelmäßig mangels besonderer Unfallspuren anhand der an den beiden Fahrzeugen entstandenen Schäden grundsätzlich nur den Kollisionswinkel und den relativen Geschwindigkeitsunterschied der beteiligten Fahrzeuge festzustellen. Ohne dazu tretende weitere Anhaltspunkte kann ein Sachverständiger nicht feststellen, ob ein am Unfall beteiligtes Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt rückwärts gegen den Unfallgegner gerollt ist (Vortrag A) oder ob umgekehrt das andere Fahrzeug vorwärts fahrend gegen den Unfallgegner gestoßen ist (Vortrag B). In einem vom Kammergericht zu entscheidenden Fall konnte der Kläger keine derartigen besonderen Umstände vortragen, aufgrund derer ausnahmsweise weitergehende Feststellungen durch einen Sachverständigen möglich gewesen wären, so dass sein Beweisantritt im Ergebnis nicht dazu geeignet war, die Richtigkeit seiner Darstellung zu beweisen.

Kann allerdings in einem solchen Fall bewiesen werden, dass das vordere Fahrzeug zurückgesetzt hat und dabei das hintere Fahrzeug beschädigt hat, liegt wegen der Örtlichkeit des Verstoßes im fließenden Verkehr regelmäßig eine bedeutende Ordnungswidrigkeit nach § 9 Abs. 5 vor, die gem. lfd. Nr. 44 des BKat mit einem Bußgeld i. H. v. 50 € bewehrt ist und zusätzlich zu einem Eintrag von zwei Punkten in das VZR führt.

Das Zurücksetzen mit einem Pkw im Rahmen eines Rangiervorgangs innerhalb einer Parkbucht, bei dem aus Unachtsamkeit ein anderer Pkw auf einem benachbarten Stellplatz beschädigt wird, erfolgt regelmäßig im ruhenden Verkehr. Wegen des im ruhenden Verkehrs gegenüber dem fließenden Verkehr regelmäßig geringeren Gefahrenpotenzials sind an die Sorgfaltspflichten des im ruhenden Verkehr rückwärts Fahrenden geringere als die in § 9 Abs. 5 zum Schutz des fließenden Verkehrs normierten Anforderungen zu stellen. Insoweit haben die nach rückwärts Rangierenden, aber noch in ihrer Parkbucht befindliche Fahrzeugführer nur das jedem Verkehrsteilnehmer obliegende allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 zu beachten. Ein anderer Sachverhalt liegt allerdings in den Fällen vor, in denen in einer verkehrsbedingt zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne nach rückwärts rangiert wird, um in einen anderen Fahrstreifen zu gelangen. In diesen Fällen gilt der Gefährdungsausschluss des § 9 Abs. 5 auf der Grundlage der Schutzrichtung für den fließenden Verkehr in vollem Umfang.

Einen Sonderfall des Rückwärtsfahrens beinhaltet das rückwärtige Abbiegen, um sich als Fahrzeugführer z. B. einen komplizierten Wendevorgang oder das nochmalige Umfahren des Stadtviertels zu ersparen. Auch für diese Fälle gelten zunächst einmal die Regelungen des Abs. 1 in vollem Umfang. Es tritt aber noch die besondere Verpflichtung aus Abs. 5 hinzu, weil es sich um einen besonders, quasi doppelt gefährlichen Abbiegevorgang handelt.

Von der besonderen Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren sind auch die Fahrer rückwärts fahrender Baufahrzeuge dann nicht entbunden, wenn sie Vorfahrt gegenüber anderen Fahrzeugen haben. Ereignet sich bei einem solchen Rückwärtsfahren ein Unfall, spricht der erste Anschein für ein unfallursächliches Verschulden des Rückwärtsfahrers.

Gefährdungsausschluss

Der von Abs. 5 geforderte Gefährdungsausschluss für andere Verkehrsteilnehmer bedeutet im Ergebnis, dass der Fahrzeugführer sämtliche Anstrengungen unternehmen muss, um das körperliche Wohl anderer Verkehrsteilnehmer sowie den Schutz von deren Gütern in seine Fahrvorgänge einzukalkulieren. In diesem Sinne ist der Gefährdungsausschluss als das Endprodukt einer gesteigerten Sorgfaltspflicht anzusehen. Wird ein Gefährdungsausschluss gem. Abs. 5 im Zivilprozess streitig verhandelt, so muss ein in ein Grundstück abbiegender Fahrer darlegen, dass er besonders vorsichtig gehandelt hat, da im Falle einer Kollision sonst der Beweis des ersten Anscheins gegen ihn spricht. In vielen Fällen genügt bei den Fahrvorgängen des Abbiegens in ein Grundstück sowie des Wendens und Rückwärtsfahrens auf der Fahrbahn auch die sorgfältigste Beachtung der Verkehrsverhältnisse aus dem Fahrzeug heraus nicht vollkommen, um eine mögliche Gefährdungssituation zu vermeiden. In diesen Fällen hilft oft nur eine weitere Person zum gefahrlosen Vollenden des beabsichtigten Fahrvorganges, die in diesem Rahmen als Einweiser fungiert und die Behinderungen in der visuellen Wahrnehmung des Fahrzeugführers kraft seines besseren Überblicks über die Verkehrslage kompensiert. Beim Abbiegen in Hofgrundstücke sind insbesondere größere und schwerere Fahrzeuge wie etwa landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge, Lkw und Kleintransporter auf die Hilfe von Einweisern angewiesen, weil diese Fahrzeuge z. B. derart beladen sein können, dass die zum Abbiegen erforderlichen Rangiervorgänge im Straßenraum ohne Einweiser nicht ohne Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer bewältigt werden können oder ganz einfach die notwendige Sicht des Fahrzeugführers nicht gegeben ist. Steht für die beabsichtigten Fahrvorgänge keine Hilfsperson als Einweiser zur Verfügung und kommt es – auch infolge der fehlenden Einweisung – zu einem Verkehrsunfall, so kann sich der Abbiegende, Wendende oder rückwärts Fahrende nicht durch das Fehlen eines von seiner Seite für erforderlich gehaltenen Einweisers entlasten. Können also Zweifel über einen im Ergebnis gefahrlosen Fahrvorgang gem. Abs. 5 nicht ausgeschlossen werden, so muss deshalb im Extremfall auf den beabsichtigten Fahrvorgang vorerst verzichtet werden, um auf eine günstigere Verkehrssituation oder einen Einweiser zu warten.

Dennoch müssen unvorhersehbare Regelwidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer von einem Wendenden nicht in seine Überlegungen mit einbezogen werden. In diesem Fall kann selbst eine grundsätzlich erhöhte Betriebsgefahr eines nach links abbiegenden Gespannes vollständig hinter dem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag eines Unfallgegners zurücktreten, wenn diesem ein grobes Verschulden (Überholen trotz Überholverbot gem. Zeichen 276) vorzuwerfen ist.