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OLG Bamberg: Betrunkener Fahrgast rechtfertigt keinen Verkehrsverstoß

Das OLG Bamberg hat den“ Freispruch eines Taxifahrers aufgehoben.

Einen Bußgeldbescheid über 440 Euro und zwei Monate Fahrverbot erhielt ein Taxifahrer, weil er die dem Lärmschutz geschuldete nächtliche Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer Autobahn um 64 km/h überschritten hatte. Als Grund für die Raserei zur Oktoberfestzeit gab er an, er habe schnellstmöglich die nächste Ausfahrt erreichen wollen, um zu verhindern, dass sich ein betrunkener Fahrgast im Taxi übergibt. Der Amtsrichter, der nach Einspruch des Verkehrssünders über den Fall zu befinden hatte, zeigte Verständnis und sprach den Fahrer wegen eines „rechtfertigenden Notstands“ frei.

Zu Unrecht, entschied das Oberlandesgericht Bamberg und gab damit einer Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft statt. Dem Urteil des Amtsrichters sei bereits nicht zu entnehmen, ob durch schnelles Fahren überhaupt hätte verhindert werden können, dass der Fahrgast sich übergibt – bekanntlich ein Reflex, der sich einer willentlichen Beeinflussung entziehe und nicht verzögert werden könne. Auch sei nicht ersichtlich, ob nicht andere Mittel vorhanden gewesen seien, um eine Verunreinigung des Taxis abzuwehren, etwa vorhandene Brechtüten, wie sie in Flugzeugen üblich seien. Schließlich sei es fehlerhaft, wenn das Amtsgericht bei der Interessenabwägung der Sicherheit der Fahrgäste den Vorzug vor dem Lärmschutz eingeräumt habe, denn die Sicherheit der Fahrgäste sei gar nicht tangiert gewesen. Vielmehr hätte zwischen einer zu befürchtenden Verunreinigung des Taxis einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln sowie dem Schutz der Anwohner vor nächtlicher Lärmbelästigung andererseits abgewogen werden müssen. Und hier sah das Oberlandesgericht keinen Grund, dem Interesse des Taxifahrers an einem sauberen Fahrzeug ein wesentliches Überwiegen zuzubilligen. Beförderungspflicht hin oder her: Ein Taxifahrer handele gegen seine eigenen Interessen, wenn er zur Oktoberfestzeit erkennbar betrunkene Gäste aufnehme, ohne Vorsorge für den „Notfall“ etwa durch Bereithalten von Brechtüten getroffen zu haben. Ein Verkehrsverstoß sei unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, befanden die Bamberger Richter und hoben das Urteil des Amtsgerichts auf. Dieses muss nun neu entscheiden.

Sturz des Fahrgastes in der Strassenbahn beim Abbremsen – Schmerzensgeld?

Wie sieht es mit Schmerzensgeld aus, wenn ein Fahrgast auf Grund abrupten Abbremsen in der Strassenbahn stürzt? Das Oberlandesgericht Dresden (7 U 1506/13) hat die bisherige Rechtssprechung zu dem Thema auf den Punkt gebracht: Ausgeschlossen ist es nicht. Aber ausgesprochen schwierig. Aus der Entscheidung: 

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, muss ein Fahrgast einer Straßenbahn damit rechnen, dass – außerhalb von Fahrfehlern – bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist deshalb selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich Halt auch gegen plötzliche Bewegungen der Straßenbahn verschaffen (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 05.04.1995 – 12 U 63/95, juris; OLG Dresden, Urt. v. 21.02.2006 – 13 U 2195/05, juris; vgl. auch LG Dresden, Urt. v. 12.05.2010 – 4 O 3263/09, NZV 2011, 202). Der Fahrgast muss in diesem Zusammenhang durchaus auch jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen (vgl. nur KG, Urt. v. 01.03.2010 –12 U 95/09MDR 2010, 1111). Dies gilt, wie der Senat aus eigener Erfahrung weiß, vor allem an Haltestellenbereichen von Großstädten, an denen es oftmals Verstöße gegen § 25 StVO gibt, auf die der Straßenbahnfahrer dann sofort, u.U. auch mit einer Notbremsung reagieren muss. Regelmäßig kann dem der Fahrgast, der mit einem solchen Manöver rechnen muss, dadurch begegnen, dass er sich sicheren Halt verschafft, soweit er nicht ohnehin einen Sitzplatz eingenommen hat. Deshalb neigt der Senat der Auffassung zu, dass in derlei Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Beweis des ersten Anscheins für die Annahme spricht, dass der Sturz eines Fahrgastes auf mangelnde Vorsicht zurückzuführen ist (vgl. nur KG, Urt. v. 07.05.2012 –22 U 251/11, juris; einschränkend: BGH, Urt. v. 11.05.1976 –VI ZR 170/74VersR 1976, 932). […]

Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb die Klägerin sich im konkreten Fall etwa veranlasst sehen musste, bereits 5 Sekunden vor Erreichen der Haltestelle ihren sicheren Sitzplatz aufzugeben ohne sich ausreichend abzusichern. Bereits nach den Feststellungen des Landgerichts, die die Berufung als solche auch nicht angreift, hat die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt sich nicht angemessen festgehalten, um so auch auf ein plötzliches Abbremsen reagieren zu können. Vielmehr war sie kurz vor dem Unfall dem Sitz zugewandt und abgelenkt. […]

Es ist in erster Linie der Fahrgast, der sich selbst darüber Klarheit verschaffen muss, ob er in der Lage ist, die regelmäßig bei Straßenbahnfahrten auftretenden Kräfte zu meistern oder nicht. In besonders gelagerten Einzelfällen liegt es deshalb u.U. nahe fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Davon ist aber mangels konkreten Vortrags der Klägerin zu unfallmitkausalen Beeinträchtigungen hier schon nicht auszugehen. Hinzu kommt, dass es der Klägerin dann jedenfalls erst recht zuzumuten gewesen wäre, bis zum sicheren Stillstand der Straßenbahn zu warten, bevor sie aufsteht. Dem Senat ist bekannt, dass zwischen dem sicheren Halt der Straßenbahn und dem Öffnen der Türen regelmäßig noch so viel Zeit verstreicht, dass es, von besonders gelagerten, hier aber nicht einschlägigen Situationen abgesehen, bei sachgerechter Platzwahl durchaus möglich ist, auch dann noch ohne größere Probleme auszusteigen.